Judith Nika Pfeifer, manchmal passiert auch minutenlang gar nichts

Wenn gar nichts passiert, ist es meist ein Gedicht, heißt es im Volksmund. Auf der Skala von dynamischen Prozessen nämlich ist die Lyrik ziemlich im Randbereich der Ruhe angesiedelt.

Judith Nika Pfeifer nennt ihre Texte weder Gedichte noch Lyrik, „manchmal passiert auch gar nichts“ ist mit gut dreißig Gattungsbezeichnungen ausgemalt, wovon vielleicht der Begriff Leihworte am heftigsten herausleuchtet. Leihworte sind zum einen geliehene Worte, in der Spezialausführung als Trademarke sind sie eine Hommage an den Südtiroler Performance-Lyriker Jörg Zemmler, der das Motiv in den Vordergrund rückt, dass letztlich alles nur geliehen ist.

Judith Nika Pfeifer plant ihre Texte meist wie Perlmutt um ein aufreizendes poetisches Sandkorn herum aus. Oft Bleibt tatschlich nur eine Leerstelle, manchmal ein Begriff oder gar nur ein Geräusch, das sich nicht zuordnen lässt.

GRAU // grrrrrrr wau (6)

LAUFEN / grausam // alles im griff (als) / würden die dinge schief (7)

RETROSPEKTIV / wäre ich ein graureiher / ich würde mich versilbern (9)

Selbst diese Textspritzer, die aus großer Entfernung auf das lyrische Feld getupft sind, werden auf manchen Seiten noch zusätzlich reduziert, bis sie wie ein Logo leuchten.

Die Reduktion vollzieht sich auch im Aktion-Bereich, beinahe romantisch kommt die Stille daher, gesteigert durch das Post-, das den Epochen jeweils den Stempel der Vergänglichkeit aufdrückt. Letztlich entfaltet sich die Stille zu einem Gerücht.

POST. STILLE // alles hört der wind / der wind sagts der weide / die weide sagts dem fluss / der fluss sagts dem sand / der sand sagts dem wasser / sags weiter: es ztropft durch / uns durch (56)

Politische Traumata verstecken sich unter der Süßlichkeit der österreichischen Heimatbegriffe.

HEIMATLIEBE / exilbär // wenn du mich liebst bist du / mein marsmäuschen / meine bergameise / mein seenparadies / mein punschkrapferl / mein sisibär / wenn nicht / gehst du jetzt besser (60)

Die Hinterfotzigkeit der österreichischen Seele besteht darin, dass es erst hintennach weh tut.

„manchmal passiert auch minutenlang gar nichts“ ist daher eine höchst wache Methode, mit Ereignislosigkeit der Sache auf den Grund zu gehen. So wie uns unvermittelt ein Graffiti anfällt, „bin schon hier gewesen“, taucht plötzlich im Internet das „Hier“ auf.

Scheinbar eingefroren auf einen Zeitklumpen der Gegenwart tauen diese spitzen Begriffe dann auf und schmerzen, wenn wir uns bewusst werden, wie sie gemeint sind. Das Punschkrapferl wird dann zur Henkersmahlzeit, der Sisi-Bär zu einem ägyptischen Diktator.

Judith Nika Pfeifer, manchmal passiert auch minutenlang gar nichts.
Horn: Berger 2015. (= Neue Lyrik aus Österreich. Band 9). 64 Seiten. EUR 16,50. ISBN 978-3-85028-684-8

 

Weiterführender Link:
Verlag Berger: Judith Nika Pfeifer, manchmal passiert auch minutenlang gar nichts
Homepage: Judith Nika Pfeifer

 

Helmuth Schönauer, 06-03-2015

Bibliographie

AutorIn

Judith Nika Pfeifer

Buchtitel

manchmal passiert auch minutenlang gar nichts

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich, Band 9

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-684-8

Kurzbiographie AutorIn

Judith Nika Pfeifer, geb. 1975, lebt in Wien.