Antonia Baum, Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, …

Die wirklich harte Erziehung für das Leben muss man sich selbst verpassen, da darf man sich auf niemanden verlassen.

Antonia Baum startet ihren Erziehungsroman der anderen Art mit einem Motto, das alle Pädagogen schmerzt. Der Vater sagt den Kindern, er hätte sich allein und ohne fremde Hilfe selbst erzogen! Damit ist auch das Figuren-Set abgesteckt, Vater Theodor arbeitet sich der Reihe nach durch Modeberufe durch und ist daher Arzt, Künstler und Autohändler in einem. Oft ist er alles gleichzeitig, wenn er sein Restaurant Theodor nennt und sich quasi als Protagonist ins eigene Programm steckt.

Theodor hat drei Kinder, Johnny, Clint und Romy, wobei Romy eine Hommage an Romy Schneider ist, weshalb sie auch als Ich-Erzählerin das Ergebnis der Selbsterziehung kommentieren darf. Früh nämlich haben sich die Kids auf eigene Beine gestellt, mit allem gehandelt, womit sich nur dealen lässt, und der Schrottplatz als Kinderstube ist tatsächlich für innovative Projekte ein Paradies.

Immer wieder spannt Theodor seine Kids in seine Projekte ein, nimmt sie mit nach Berlin, während zu Hause in der Provinz das Jugendamt durchdreht. Wer sich gegen das Jugendamt durchsetzt, setzt sich überall durch. Das Kinderzimmer erweist sich als ideales Versteck für Drogen, in ausgestopfte Tiere mit abnehmbaren Köpfen lässt sich so manche Überlebensration verstecken. Aber auch dem Vater selbst rücken die Feinde immer näher. Schutzgelderpressung, wütende Kunden und ein Kunstbetrieb, der nicht überschaubar ist, lassen jeden Tag dunkle Typen auf der Matte stehen.

In einer Wahnsinnsnacht voller Dunkelheit entgleist der Porsche der Kids auf einem Feld und das Leben scheint gelaufen zu sein. Mal ist der eine bewusstlos, dann der andere halb tot, als die Erzählerin ins Krankenhaus fahren will, ist der Porsche Schrott, und es gibt keinen Handyempfang, um Hilfe zu holen. Gegen die physikalischen Gesetze nach einem Unfall helfen keine Erziehungsprogramme und kein noch so ausgeklügeltes Survival-Programm.

Als zwischendurch wieder alle bei Bewusstsein sind, stellt jemand die Frage nach der Mutter, warum gibt es in dieser Familie keine Mutter? Auch hier heißt die Lösung Verkehrsunfall.

Antonia Baum erzählt den puren Überlebenskampf mit konsequenten Mitteln. Wenn die Kids auf eigene Beine stehen wollen, müssen sie aus dem pädagogischen Korsett rechtzeitig ausbrechen. Im Überlebenskampf ist kein Platz für nette Familiengeschichten, wem das Wasser bis zum Hals steht, der hat keine Zeit für Weihnachten und Muttertag. - Eine brutale „Taugenichts-Groteske“, die dann auch noch Zeit für sarkastischen Humor findet.

Antonia Baum, Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015, 398 Seiten, EUR 22,80, ISBN 978-3-455-40337-4

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe, Antonia Baum, Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren
Wikipedia: Antonia Baum

 

Helmuth Schönauer, 26-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Antonia Baum

Buchtitel

Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Hoffmann & Campe

Seitenzahl

398

Preis in EUR

22,80

ISBN

978-3-455-40337-4

Kurzbiographie AutorIn

Antonia Baum, geb. 1984, lebt in Berlin.