Hilde Schmölzer, A schöne Leich

Seltsam verstreut tauchen am Globus die Hotspots des Totenkultes auf. Der skurrile Berufsfriedhof an der ukrainisch-rumänischen Grenze, die Toten-Gassen in Samarkand, die Blasmusikumzüge in New Orleans: der Wiener Zentralfriedhof ist eine ideale Bereicherung auf der Route der Jenseits-Versteher.

Hilde Schmölzer startet ihren Trip durch die Welt der schönen Leich am Eingang des Zentralfriedhofs, wo es an manchen Tagen ein Treiben wie auf einem Flughafen gibt. Touristen stellen sich die interessantesten Routen durch die Totenstadt zusammen, Kellnerinnen servieren um ihr Leben, ab und zu versammeln sich dunkle Kleidergruppen offensichtlich für eine Live-Bestattung.

In einem historischen Abriss wird geschildert, wie es zur Planung dieses gigantischen Friedhofs gekommen ist, wie sich die Bevölkerung erst langsam an die neue Anlage gewöhnt hat, und wie bei allen Ereignissen in Wien die Presse mit allen Mitteln dagegen geschrieben hat. Dabei kommen auch skurrile Vorschläge zur Diskussion wie etwa jener, die Verstorbenen mittels pneumatischer Pumpanlage vom Stadtzentrum auf den Friedhof zu saugen.

Im Bildmaterial sind diese Schauobjekte alle aufgeblättert, der Sitzsarg für eine sparsame Aufbahrung in der Kleinwohnung, die Alarmanlage, mit der man im Falle des Scheintodes klingeln kann, und natürlich die Straßenbahngarnituren, die in der Nacht die Verstorbenen auf den Zentralfriedhof gefahren haben.

Der Wiener und seine Leich sind heftig mit dem Barock verbunden, wo man mit üppiger Verzierung versucht, das Jenseits als ewigen Schani-Garten zu installieren. Umso einschneidender wirken die Verordnungen Josephs II, der den Tod in voller Kargheit in den Mittelpunkt stellen möchte und zu diesem Zweck Sparsarg und Coolness ausruft.

Die Leich ist für das Wiener Kulturleben immer etwas besonderes, vom Ehrengrab bis zum Umzug gibt es unendlich viele dramaturgische Einlagen, die das Besondere des Wiener Ablebens hervorheben sollen. Zu manchen Zeiten sind bis zu 270 Angestellte mit dem Auf- und Abführen von Begräbnissen beschäftigt, dabei gilt es wie in jeder echten Beamtenschaft Ränge und Orden zur Schau zu stellen.

Größen wie Grillparzer, Raimund oder Nestroy haben ein beinahe äffisches Verhältnis zum Tod gepflegt, indem sie ihn wahlweise herbei fürchteten oder herbei beteten, um ihm dann mit schroffem Schmäh das Du-Wort anzubieten.

Hilde Schmölzers Ausflug in das Jenseitige der Wiener Seele ist eine augenzwinkernde Kulturgeschichte über diesen unverwechselbaren Sound, der das behäbige, raunzerische und abgeklärte Wien ausmacht.

Hilde Schmölzer, A schöne Leich. Der Wiener und sein Tod. Mit Illustrationen aus dem Wiener Bestattungsmuseum. [Orig.: Wien 1980].
Innsbruck: Haymon 2015 (=TB 175), 164 Seiten, 9,95 €, ISBN 978-3-85218-975-8

 

Weiterführende Links
Haymon Verlag: Hilde Schmölzer, A schöne Leich
Wikipedia: Hilde Schmölzer

 

Helmuth Schönauer, 06-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Hilde Schmölzer

Buchtitel

A schöne Leich. Der Wiener und sein Tod

Originaltitel

Wien

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Illustration

Wiener Bestattungsmuseum

Seitenzahl

164

Preis in EUR

9,95

ISBN

978-3-85218-975-8

Kurzbiographie AutorIn

Hilde Schmölzer, geb. 1937 in Linz, lebt in Wien.