Lisa Lercher, Faule Marillen

Regionalkrimis haben meist die Struktur eines Faltprospektes, der in geographischen Belangen dem Tourismus und in menschlichen Agenden der Psychiatrie huldigt. Gute Regionalkrimis führen also das touristische Publikum der Hotellerie und die Einheimischen der Psychiatrie zu.

Lisa Lercher hat sich für die Bestätigung dieser These die Wachau ausgesucht. Der Major Eigner ist zu seinem sechzigsten Geburtstag in die Donau gefallen, wird gerade noch gerettet und ist seither gaga, also pensionsreif. Eigentlich arbeitet er in Wien, aber wo immer er sich aufhält, bricht ein Fall aus dem Boden. So auch in der Wachau, wo Kinder wie in einem Marillen-Film auf einer Baustelle spielen und ein menschliches Skelett entdecken.

Jetzt wird stracks der Polizeiposten Klein Dürnspitz zu einem forensischen Headquarter umfunktioniert, eine dem Namen nach dürre Inspektorin und ein ländlicher Haudegen vervollständigen das Team, das mit Befragungen und der Suche nach Vermissten beginnt.

Wie in Österreich am Land üblich steht am Anfang der Recherche eine Spontan-Verhaftung, ein betrunkener LKW-Fahrer wird der Gewalttätigkeit bezichtigt und vor Ort festgesetzt. Dieser freilich hält die Schmach, beim Trinken erwischt worden zu sein, nicht aus und erhängt sich in der Zelle.

Das ist freilich eine Nebenfront, denn die Knochen gehören dem verschwundenen Pater Ralf, der einst wie in den Dornenvögeln alle Frauen bezirzt und verführt hat. Jetzt ist die halbe Wachau verdächtigt, die Kinder könnten alle die DNA des Paters haben, denn er soll sehr umtriebig gewesen sein. Gewalt, Seitensprung und Verschwiegenheit sind die Zutaten des berüchtigten Morbus Sprung in der Marille, an dem in der Weltkulturerbe-Gegend so ziemlich alle leiden.

Allmählich schließt sich der Kreis der Verdächtigen, in dessen Zentrum eine seltsame religiöse Sekte steht, die Ausschweifung und Auspeitschung sexuell unter einen Hut zu bringen versucht. Der Fall wird dann ordnungsgemäß geklärt und als Belohnung liegt der pensionsreife Major vor dem Fernseher und zappt sich durch die Bundeslandsendung, worin der Fall wie ein Spielfilm aufbereitet mit den Zutaten Wachau, Kirche, Mord und Moral gesendet wird.

Lisa Lercher schlängelt sich kundig zwischen den Wachau-Devotionalien hindurch und bedient einmal das Klischee der Marille und dann wieder den Zustand der Einheimischen, der jenem einer faulen Marille sehr nahe kommt. Das Schicksal der Protagonisten wird in barocker Härte dargestellt und niemand ist davor gefeit, vielleicht in einem gigantischen Film mitspielen zu müssen.

In voller Selbstironie schickt die Autorin dann auch den Kriminalmajor einmal in eine Krimi-Retrospektive, wo ihr eigener Film gezeigt wird, „Mord im besten Alter“. (198) Autorin, Protagonisten und Leserschaft plätschern durch die Wachau, sie kennen die Klischees und genießen sie, ohne mit der Wimper zu zucken.

Lisa Lercher, Faule Marillen. Ein Wachau-Krimi.
Innsbruck: Haymon Verlag 2015 (= TB 203), 268 Seiten, 12,95 €, ISBN 978-3-7099-7834-4

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Lisa Lercher, Faule Marillen
Wikipedia: Lisa Lercher

 

Helmuth Schönauer, 02-09-2015

Bibliographie

AutorIn

Lisa Lercher

Buchtitel

Faule Marillen. Ein Wachau-Krimi

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Reihe

TB 203

Seitenzahl

268

Preis in EUR

12,95

ISBN

978-3-7099-7834-4

Kurzbiographie AutorIn

Lisa Lercher, geb. 1965 in Hartberg, lebt in Wien.