Kat Kaufmann, Superposition

Wer eine Superposition einnimmt, hat es sportlich, gesellschaftlich oder sexuell geschafft. Der Begriff zieht durchaus den Neid an und wird zum Selbstschutz der Helden deshalb oft ironisch verwendet. Jemand mit der Arschkarte in der Hand kann also durchaus verkünden, dass er eine Superposition habe.

Heldin dieses zeit-geistigen Romans von Kat Kaufmann ist die 26-jährige Jazz-Pianistin Izy, deren Wurzeln in Russland und in der Ukraine liegen, und die sich im dynamisch-wuseligen Berlin der Gegenwart einzunisten versucht. So sind denn auch Abklärung der Herkunft und das heimisch Werden in der Kunst die Grundvoraussetzungen, um sich in den gekrümmten Koordinaten Berlins zurechtzufinden. Die Hauptforderung heißt dann auch Migrationsvordergrund statt -hintergrund.

Es ist ein Luxus, seine Herkunft verschleiern zu können! (77)

Izy ist naturgemäß hauptsächlich in der Nacht unterwegs und erlebt künstlerisch und soziologisch gesehen eine Komplementärmenge zu jenem Berlin, das den Touristen bei Tageslicht dargeboten wird.

Die Sonne schreit: es ist längst Tag! Mach was Sinnvolles damit! (62)

Aber Izy ist mittlerweile ein Nachtkind geworden, immer wieder gibt es neue musikalische Konstellationen, Partnerschaften und Empfindungs-Konglomerate. Stets muss man bei null damit angefangen, die Gegenwart zu erklären, ohne die Vergangenheit zu verraten. Das Schlüsselwort des Kulturmixes heißt „Polysingularity“.

Multikulti ist überall, und selbst wenn die Wörter deutsch sind, haben sie lauter „Ü“ in ihrem Klangbild.

Früher musste man ganze Stammbäume anpacken um zu erfahren, wer man war. (161)

Und ab und zu schlägt die Kindheit eine Erinnerungsschneise und erklärt mit einem Satz eine halbe Epoche:

Ich gehe mit meiner Großmutter barfuß durch den Krieg. (70)

Allmählich gewinnt die Beziehungskiste die Oberhand über das Geschehen. So abgehoben von der Welt lässt sich die Liebe gar nicht betreiben, dass sie nicht an die Grenzen des Kitsches und der Selbstergriffenheit geraten würde.

Was für kleine Behälter das sind – Worte. (264)

Tatsächlich sind manchmal die Wörter zu klein für die großen Gefühle.

Und im Epilog wird die Heldin jäh von ihrem Kulturtaumel auf den Boden gebeamt, sie ist schwanger, ein Kind hat sich in der Multikulti-Frau eingenistet, ganz selbstverständlich und bodenständig, es hat eine Superposition.

Kat Kaufmann erzählt schnell, rissig und mit raschen Riffs aus dem Nachtleben Berlins jenseits der Prospekte. Die Stadt wirbelt ihre künstlerischen Protagonisten so schnell durch die Luft, dass diese am Boden angekommen gar nicht mehr wissen, was sie gerade abgehoben in der Superposition gemacht haben. - Ein Sittenbild, das fast alle Leser/innen alt aussehen lässt.

Kat Kaufmann, Superposition. Roman
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015, 268 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-455-40534-7

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe Verlag: Kat Kaufmann, Superposition
Wikipedia: Kat Kaufmann

 

Helmuth Schönauer, 28-01-2016

Bibliographie

AutorIn

Kat Kaufmann

Buchtitel

Superposition

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Seitenzahl

268

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-455-40534-7

Kurzbiographie AutorIn

Kat Kaufmann, geb. 1981 in St. Petersburg, lebt in Berlin.