Ada Zapperi Zucker, Das Unbehagen der Sora Elsa

Wenn eine versteckte Nuance in den Titel rutscht, werden dadurch auch alle anderen Begriffe in einen neuen Kontext gestellt. „Sora bezeichnet im römischen Dialekt eine Frau der einfachen Volksschichten.“ (179)

Ada Zapperi Zucker lässt in ihren sechs Erzählungen Menschen wie Sora Elsa zu Wort kommen. Ihre Geschichten sind zweifach an den Rand des Mainstreams gedrückt, einmal, weil es meist einfache Leute jenseits der jeweiligen Eliten sind, die erzählen, andererseits, weil die Geschichten an jener Kante der Zeitgeschichte spielen, wo sich dahinter das Reich des Vergessens auftut.

So ufert gleich zu Beginn die Begegnung der Ich-Erzählerin mit dem alten Herrn Müller auf der Parkbank in ferne Erinnerung an die Widerstandsgruppe die weiße Rose aus. „Der letzte Zeitzeuge“ hat die wesentlichen Ereignisse des Widerstands gegen die Nazis noch gut im Kopf, allerdings scheinen ihm die Anknüpfungspunkte zunehmend abhanden zu kommen. Er tritt in Schulen auf, um als letzter Lebender von den Ereignissen zu erzählen. Aber das Publikum hat sich geändert und seine Fähigkeit, auf die Gegenwart zu reflektieren. So sitzt er mit seinen Geschichten wie aufgezogen herum und merkt es selbst, wie sich die Geschichte abzukapseln beginnt in fertige Versatzstücke.

Im „dritten Brief“ schreibt sich ein Vater in einem letzten Versuch die Seele aus dem Leib, um seine Tochter vielleicht noch zu erreichen. Er leidet an Parkinson und ist dabei, „sich selbst aus dem Verkehr zu ziehen“. (62) Er versucht das nicht gelebte Leben zu entwerfen und steht doch vor der Tatsache, dass er bei der SS gewesen ist und anschließend alles vertuscht und verdrängt hat, inklusive seine Tochter.

Auch in den folgenden Geschichten steht meist eine ungewöhnliche Annäherung an vergangenes Unheil im Mittelpunkt. Die Helden stehen am Ende des Lebens und versuchen noch aufzuräumen, so gut es geht. Das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 etwa bringt auch nach Jahrzehnten die Seelen in Aufruhr. Ein überlebendes Mädchen kriegt auch durch die geduldigste Psychotherapie den Schrecken nicht aus dem Bewusstsein.

Am ehesten gelingt es noch Sora Elsa, mit dem Schrecken fertig zu werden. Als Hausmeisterin in Rom hat sie ein Sensorium entwickelt, wodurch sie die Ereignisse erahnen kann. Dadurch entwickelt sie Abwehrmaßnahmen gegen den Schrecken, noch während er geschieht. So kann sie auch aktiv an der Geschichte teilnehmen und versteckt etwa eine jüdische Mieterin vor der Gestapo.

Ada Zapperi Zuckers Geschichten sind höchst brisant, manchmal hat man den Eindruck, sie ist umgeben von Blindgängern und Zeitzündern der Geschichte, die jederzeit in die Luft gehen könnten. Vorsicht, Geduld und Überlebenswille sind die Tugenden, die es braucht, um diese brisante Zeitgeschichte nach Jahrzehnten zu entschärfen.

Ada Zapperi Zucker, Das Unbehagen der Sora Elsa. Erzählungen, übers. von Domenikus Andergassen [Orig. Titel: Le inquietudini della Sora Elsa, 2012]
München: VoG Verlag ohne Geld 2016, 214 Seiten, 13,80 €, ISBN 978-3-943810-12-7

 

Weiterführende Links:
Verlag ohne Geld: Ada Zapperi Zucker, Das Unbehagen der Sora Elsa
Homepage: Ada Zapperi Zucker

 

Helmuth Schönauer, 04-04-2016

Bibliographie

AutorIn

Ada Zapperi Zucker

Buchtitel

Das Unbehagen der Sora Elsa. Erzählungen

Originaltitel

Le inquietudini della Sora Elsa

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Verlag ohne Geld

Übersetzung

Domenikus Andergassen

Seitenzahl

214

Preis in EUR

13,80

ISBN

978-3-943810-12-7

Kurzbiographie AutorIn

Ada Zapperi Zucker, geb. 1937 in Catania, lebt in München.