David Vann, Aquarium

Wer einmal länger in ein Aquarium geschaut hat, kann sich durchaus vorstellen, dass eigentlich die Fische die Beobachter sind, die sich an den kiemenlosen Gaffern köstlich amüsieren.

David Vann erzählt von einer Familie, die letztlich zu moralischen Schauzwecken in der Gesellschaft aufgestellt worden ist wie fast alle Familien dieser Welt. Die Protagonisten schwimmen wie Fische um einander herum, belauern sich und versuchen, sich gegenseitig das überlebensnotwendige Wasser abzugraben.

Die zwölfjährige Caitlin lebt mit ihrer Mutter, einer Kranführerin am Hafen, in Seattle, wo es zwischendurch so stark regnet, dass man sich tatsächlich wie in einem Aquarium fühlt. Nach der Schule bleiben ihr immer ein paar Stunden, bis sie von der Mutter abgeholt wird. Diese Zeit nützt sie im Aquarium, wo sie mittlerweile schon gut in die Wasserwelt eingeführt ist und natürlich auch etwas mit Meeresbiologie studieren wird.

In letzter Zeit gesellt sich immer ein älterer Herr dazu, der Caitlin die letzten Dinge unter Wasser erklärt und auch sonst eine ziemliche Ahnung vom Leben zu haben scheint. Es kommt, wie es bei Begegnungen mit Altersunterschied kommen muss, die Mutter vermutet einen sexuellen Übergriff und schaltet die Polizei ein. Dabei stellt sich heraus, dass der alte Mann der Großvater von Caitlin ist, der offensichtlich wieder etwas gut machen will.

Das muss er auch, denn er hat seinerzeit die Familie verlassen, als die Mutter elendiglich gestorben ist. Die Hafen-Mutter spielt diese Szenen in voller Härte mit dem Kind durch, indem sie sich einfach ins Bett legt und einen Pflegefall mimt.
Jetzt lernt das Mädchen, dass die Welt nicht ein lautloses Dahingleiten unter Wasser ist, sondern mit Ekel, Gestank und Kotze bis in den innigsten Familienkreis hinein zu tun hat.

Dieses Zwischenstück ist eine pädagogische Sonderleistung. Alle Sekundär- und Fachliteratur versagt gegenüber der Deutlichkeit, die ein Spiel auf Leben und Tod bringt.

Im letzten Teil geht es um die Auswirkungen einer pädagogischen Maßnahme. Das ganze Schauspielen und Aufarbeiten der seelischen Schäden nützt nichts, wenn nicht so etwas wie Maßnahmen der Versöhnung stattfinden.

Im konkreten Fall werden einmal die ökonomischen Verhältnisse geklärt, Mutter und Tochter übernehmen das Haus des Großvaters. Mutter leistet sich einen Freund und Caitlin bandelt mit einem indischen Immigranten an. Sie wollen jetzt alles besser machen, aber in einem Aquarium steht einem eben immer das Wasser bis zum Hals.

David Vann zeigt beeindruckend, wie sich ein x-beliebiges Familienleben in einem Aquarium abspielt. Die Spielregeln sind eisig elegant, die Helden schlängeln sich durch die Materie und alle kriegen allmählich ein Gefühl, dass letztlich „alles für die Fisch“ ist. – Ein ziemlich un-beschaulicher Familienroman.

David Vann, Aquarium. Roman. A. d. Amerikan. von Miriam Mandelkow. [Orig.: Aquarium, New York 2015]
Berlin: Suhrkamp 2016, 282 Seiten, 23,60 €, ISBN 978-3-518-42536-7

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: David Vann, Aquarium
Wikipedia: David Vann

 

Helmuth Schönauer, 06-05-2016

Bibliographie

AutorIn

David Vann

Buchtitel

Aquarium

Originaltitel

Aquarium

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Miriam Mandelkow

Seitenzahl

282

Preis in EUR

23,60

ISBN

978-3-518-42536-7

Kurzbiographie AutorIn

David Vann, geb. 1966, auf Adak Island / Alaska, lebt in Kalifornien.