Ludwig Roman Fleischer, Unerwünschte Nebenwirkungen

In einem geordneten System wie der Medizin, der Pädagogik oder der Literatur geht man davon aus, dass etwas beabsichtigt wird, und „daneben“ können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Nun wissen aber gewiefte Mediziner, Lehrer und Autoren, dass es besser ist, Haupt- und Nebenwirkung zu vertauschen, um das Ziel zu erreichen.

Ludwig Roman Fleischer untersucht in seinen literarischen Fallbeispielen knapp zwanzig solcher Nebenwirkungsfälle, die naturgemäß dermaßen skurril und „entrig“ ausgehen, dass man wahrscheinlich bei keinem Gericht der Welt den Schaden einklagen kann. In der Hauptsache ist es das System, das die Sachen vertauscht und etwa Fußnote mit Überschrift verwechselt.

Die zweite große Schadensgruppe sind die Helden der Arbeit, der Erotik und des Konsums, die an manchen Tagen alles verwechseln und zu überraschenden Ergebnissen kommen. Das dritte Minenfeld der Nebenwirkungen spielt sich im Literaturbetrieb selbst ab, bei manchen Texten, die im Umlauf sind, wünscht man sich tatsächlich einen Beipackzettel.

Erzähltechnisch probiert der Autor allerhand Nebenwirkungen aus, so setzt er eine Geschichte gleich zweimal ins Inhaltsverzeichnis, weil die Wirkung so groß ist. Das sogenannte „Senil forte“ taucht nicht nur die Vergangenheit sondern auch die Zukunft ins erlebnisgeile Rosa, was diversen Berufsgruppen bei Einnahme Erleichterung verschafft. Einzige Nebenwirkung, es kann nicht dosiert werden, du weißt bei Senil forte nie, ob du es schon genommen hast oder nicht.

Und die Startgeschichte berichtet von einem Übersetzungsprogramm, das durch Upgrading immer genauer und wilder wird. Da dieses Programm nicht nur übersetzt, was in einer anderen Sprache aufgeschrieben ist, sondern auch gleich in einem literarturhistorischen Entwurf die Absicht der jeweiligen Autoren erahnt, kommt es zu genialen Neutexten. Eine Shakespeare-Übersetzung ist nicht nur in Sekunden ausgespuckt, auch die heroischen Gefühlslagen in einem Sonett wuchern sonnig aus den Zwischenräumen der Zeilen heraus und überwuchern diese, bis sie erledigt sind.

Ein sogenannter frommer Typ nimmt es mit zunehmendem Alter mit der Religion sehr genau, er entwickelt als Nebenwirkung eine Sakramentsallergie und verblödet bei Wasser und Brot.

Ein Allroundpatient, der wegen seiner Gesundheit eigentlich für jede Krankheit gut ist, testet die Fähigkeiten einer Klinik und kommt als Universalkranker heraus, es gibt letztlich als Nebenwirkung der Gesundheit keine Krankheit, die einen nicht aufsuchen könnte.

Die Tour de monde, die Radfahrer aus der Bahn wirft, eine Naturgeschichte voller evolutionärer Ballaststoffe, ein Kunst-Befruchter, der jeden Kinderwunsch erfüllt, sind weitere Gebiete, in denen Ursache und Wirkung an manchen Tagen keine Rolle spielen. Nicht zu vergessen die heile Märchenwelt, wo durch eine Mythenfusion plötzlich das Rotkäppchen mit den Zwergen herumpudern muss, die alle verheiratet sind. Am Schluss gibt sogar der Demiurg auf und weigert sich, angesichts der vielen Nebenwirkungen einzugreifen.

Ludwig Roman Fleischer stellt so gut wie alle Künste auf den Kopf, wobei seine Erzählkunst als einziges Medikament ohne Nebenwirkungen bleibt. Seine grotesken Übergriffe auf die scheinbar logische Welt sitzen nämlich punktgenau.

Ludwig Roman Fleischer, Unerwünschte Nebenwirkungen. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus 2016, 188 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-903125-04-9

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Ludwig Roman Fleischer, Unerwünschte Nebenwirkungen
Wikipedia: Ludwig Roman Fleischer

 

Helmuth Schönauer, 10-06-2016

Bibliographie

AutorIn

udwig Roman Fleischer

Buchtitel

Unerwünschte Nebenwirkungen

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

188

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-903125-04-9

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Roman Fleischer, geb. 1952 in Wien, lebt in Wien.