Waltraud Seidlhofer, Langsame Figuren

Es gibt in der österreichischen Poesie eine konsequente Richtung, die politisch-poetische Vorgänge eines kleinen Landes mit der Ästhetik von Unbestechlichkeit verbindet.

Lose verknüpft sind die Protagonisten dieser Schreib-Haltung am ehesten durch den Heimrad-Bäcker-Preis, dessen Namensstifter seinerzeit eine minimalistische Poesie politischer Sachlichkeit mit der „edition neue texte“ ins Leben gerufen hat.

Waltraud Seidlhofer gehört zu dieser Poesie, die sich durch Genauigkeit, Liebe zum Standbild und Metafiktion in der Lyrik auszeichnet. Der Titel „Langsame Figuren“ deutet auf diese Verfahrensweisen hin. In den Gedichten läuft einerseits so etwas wie ein Screenshot als Plot mit, während gleichzeitig die Rezeption dieses Eindrucks weitererzählt wird.

Auf einer Metaebene ordnen sich die Bilder, Fügungen und Ereignisse zu einer über-realistischen Neuordnung. Während das Layout der Texte linksbündig schlank wie eine Messlatte erscheint, erinnern die semantischen Gebilde zwischendurch an einen Lexikoneintrag, sachlich, relevant, allgemeingültig.

Von einer frisch verschneiten Terrasse führen Spuren hinunter zum Fluss, am Wegesrand ist Gras, der Weg ist gepflastert. Es ist alles da in diesem Gedicht, aber Richtung, Zeit und Grund muss der Leser selbst ausfüllen.

In einem anderen Text geht es um Wortpartikel, die den Raum verstellen, um Begriffe, die sich unter der Eigenlast biegen und um Flächen, die zur Beschreibung freigegeben sind. Auch hier müssen die Rahmenbedingungen und die markierten Leerstellen vom Leser mit seinem eigenen Rezeptions-Programm ausgestaltet werden.

Viele Bild-Konstellationen sind vertraut und werden im Alltag beiläufig verwendet. Aber die abrupte Strenge, mit der Bilder ineinander übergreifen, erinnert an das Diffusum einer aus Teilen zusammengewachsenen Stadt, „in einem Zustand zwischen Wachen und Schlaf beginnt eine Stadt in die andere zu kippen, die Logik läuft unbeirrbar in ein anderes Geschehen.“ (20)

Die einzelnen Gedichte laufen Überschrift-los wie die gekippten Städte in einander über, wie Blöcke schiebt sich die Erinnerung ineinander wie das auf Bildern beschriebene Eis. (29)

Der Bilderfluss ist dann doch in vier Kapitel aufgestaut, wobei es einmal um Interventionen und ein andermal um „Intruders“ als Horrormarketing geht. Architektur und Natur gehorchen sich selbst und geben sich beiläufig als Spielregeln aus. Ein Stadtplan wird als Partitur gelesen, Häuserzeilen machen Plätze für eine Familienaufstellung frei, in der Struktur von Pflanzen sind scheinbar Freihand-Zeichnungen verborgen.

Waltraud Seidlhofer erzählt zu jedem Bild eine mögliche Gebrauchsanweisung mit, um diese dann sehenden Auges zu verwerfen. Gegen Ende liegen immer noch Wortreste herum, die sich abermals zu einem neuen Bild aufraffen und nach geglücktem semantischen Selfie wieder zusammenzusinken in den Wörterhaufen der bereits abgearbeiteten Gedichte.

Langsame Figuren nehmen jede unnütze Bewegung aus der Szene, in slow motion arbeiten sich die Assoziationen in abenteuerliche Drehs vor. Waltraud Seidlhofers Gedichte sind ein Abenteuer eines poetischen Schachs, bei dem die Felder sich unter den Fingern des Spielers verändern, wenn die Figur sie betritt.

Waltraud Seidlhofer, Langsame Figuren. Gedichte
Wien: Klever Verlag 2016, 103 Seiten, 15,90 €, ISBN 978-3-903110-03-8

 

Weiterführende Links:
Klever Verlag: Waltraud Seidlhofer, Langsame Figuren
Wikipedia: Waltraud Seidlhofer

 

Helmuth Schönauer, 08-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Seidlhofer

Buchtitel

Langsame Figuren. Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Klever Verlag

Seitenzahl

103

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-903110-03-8

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Seidlhofer, geb. 1939 in Linz, lebt in Thalheim bei Wels.