Evelyn Grill, Immer denk ich deinen Namen

Gute Sprichwörter erleichtern zwar den Tagesablauf zwischendurch, harte Sachen freilich müssen in der Literatur die Helden umso heftiger ausbaden, je bessere Sprichwörter sie kennen.

Evelyn Grill bringt in ihrem Roman „Immer denk ich deinen Namen“ zwei hochbelesene, feinfühlende und aufgeklärte Helden zusammen. Ein Germanistikprofessor aus Karlsruhe trifft in Prag bei einer Kafka-Tour die Lektorin Vera, und schon beim Heimfahren in ihre Literaturzellen merken beide, da ist etwas geschehen. Beide unterliegen offensichtlich dem Doderer‘schen Diktum: „Wer sich in Familie begibt, kommt darin um!“ (31)

Die Hauptlast der nun folgenden Sehnsuchtstragödie trägt Adalbert, der jeden Brief an Vera ein paar Mal neu aufsetzt, bis offensichtlich die passende Emotion literarisch verbrämt genug aus der Feder springt. Rundherum erlebt er ein Desaster, Mutter und Schwiegermutter sind in Heimen untergebracht, seine Frau ist schwer krebskrank und braucht Ruhe von Geräuschen und Berührungen, seine beiden Söhne schlagen sich in der Schule herum, und als man denkt, jetzt sind aber genug defekte Personen auf der Bühne, kommt noch die Tochter mit dem Enkelkind Puppi und will sich scheiden lassen. Demütigend sind die Nächte, Adalbert holt sich das Schlafzeug aus dem Schlafzimmer und bereitet sich im Arbeitszimmer ein Notlager. Kein Wunder, dass er jetzt ausrastet und in schönen Fügungen schmachtet.

Vera hingegen muss ihre beiden Kinder zur Schule bringen und den Mann aushalten, der sich Nacht für Nacht an ihren Körper heranmacht. Zwischen den Gedichten, die sie bearbeitet, und dem Gemurkse unter der Tuchent tut sich so manche Kluft zwischen den Zeilen auf. Vera schmachtet nicht weniger als Adalbert, aber sie ist vielleicht einen Schritt näher an der Realität und denkt an Scheidung.

Gerade als in beiden Familien die Düsternis schier unerträglich geworden ist, gelingt es, ein haptisches Date zwischen Karlsruhe und Wien auf die Füße zu stellen. Aber in der Liebe, der Literatur und dem Leben ist letztlich nichts fix. Gerade als Vera am Bahnhof auf ihren Brief-Geliebten wartet, ist nicht sicher, ob dieser überhaupt im Zug sitzt. Kurz vor Abfahrt nämlich ist ihm die Familie auf die Schliche gekommen, der Sohn liest in makellosem Hohn die Briefe vor, die offensichtlich falsch zugestellt und in die Hände des wütenden Mini-Clans gelangt sind.

Evelyn Grill erzählt mit Respekt von diesen geschundenen Kreaturen, die an ihren schönen Fügungen mindestens so leiden wie an den nackten Hormonen, die auch Germanisten zwischendurch auszuschütten im Stande sind. Der Roman geht milde, aber schonungslos mit seinen Helden um, die wahrscheinlich nur die brutale Wirklichkeit von ihren Sehnsuchtsträumen erlösen kann. – Reif und witzig!

Evelyn Grill, Immer denk ich deinen Namen. Roman
Innsbruck: Haymon Verlag 2016, 139 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-7099-7266-3

 

Weiterführender Link:
Haymon Verlag: Evelyn Grill, Immer denk ich deinen Namen
Wikipedia: Evelyn Grill

 

Helmuth Schönauer, 19-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Evelyn Grill

Buchtitel

Immer denk ich deinen Namen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

139

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7099-7266-3

Kurzbiographie AutorIn

Evelyn Grill, geb. 1942 in Garsten, lebt in Freiburg im Breisgau.