Liliana Bodoc, Der afrikanische Spiegel

„Wenn wir eine Liste von unheimlichen, widerspenstigen, unberechenbaren Gegenständen erstellen müssten, würden Spiegel an erster Stelle stehen.“

Ein kleiner, kaum handtellergroßer Spiegel mit einem Rahmen aus Ebenholz steht im Mittelpunkt einer Geschichte, die in Afrika beginnt und nach Südamerika und Europa führt. Begleitet vom Rhythmus der Trommeln erleben wir als außenstehende Beobachter wie der junge Imaoma seiner Braut Atima einen kleinen, selbstgeschnitzten Spiegel als Hochzeitsgeschenk überreicht. In einem kleinen afrikanischen Dorf nimmt die wundersame Reise des Spiegels seinen Anfang.

Drei Jahre später wird ihr Kind, Atima Imaoma, von Sklavenhändler nach Argentinien verschleppt. Ihre Mutter kann ihr nur noch einen Lederbeutel mit dem kleinen, geheimnisvollen Spiegel mit auf die Reise geben, bevor sie ihr Kind für immer aus den Augen verliert.

„Das Schiff, auf das sie zusammen mit Hunderten weiterer Sklaven gebracht wurde, fuhr über das weite Meer in ein Land, in dem Menschen Menschen kauften.“ (19)

Auf dem Sklavenmarkt wird das kleine afrikanische Mädchen von einem reichen Ehepaar als Zofe für ihre gleichaltrige Tochter Raquel gekauft. Atima Imaoma wird von nun an Silencio genannt, weil sie so ruhig ist. Trotz aller Mühe gelingt es dem Mädchen sich nicht mehr an ihren alten Namen zu erinnern und auch die Erinnerungen an ihre Familie und alte Heimat verblasst. Als sich Raquel zu ihrem zwölften Geburtstag wünscht, Silencio Schreiben und Rechnen beizubringen, zögert Senor Cabrera lange. Als sich die wirtschaftliche Lage der Familie zunehmend verschlechtert, verkaufen sie Silencio für ein Landgut.

Der Spiegel ihrer Eltern ist für Silencio die Verbindung zur ihrer Vergangenheit in Afrika und mit zwölf Jahren gelingt es ihr endlich, sich an ihren alten afrikanischen Namen zu erinnern. Atima Imaoma heiratet auf dem neuen Landgut einen anderen Sklaven und bekommt ein Mädchen, das sie Atima Silencio nennt. Als die Eltern des jungen Mädchens sterben, beschließt sie zu fliehen und auch die Reise des kleinen Spiegels geht weiter.

Liliana Bodoc erzählt eine Geschichte, in der Tradition ganz großer Geschichtenerzähler. Gespannt folgen wir jedem der einzelnen Schicksale, die auf magische Weise mit einem Spiegel verbunden sind. Wir nehmen teil an ihrem Glück wie Unglück auf ihrer Sehnsucht nach Freiheit. Der immer wiederkehrende Rhythmus der Trommel gibt den Takt des Lesens vor und hält in gespannter Distanz zum Geschehen, das sich nicht mehr verändern lässt.

Bodocs Buch liest sich wie eine Geschichte am Lagerfeuer. Ihre rhythmische Sprache erzeugt nahezu spielerisch die passenden Stimmungen, während das Geschehen wie im Flug über die Kontinente streicht. Die ausgezeichnete Übersetzung von Renate Weitbrecht bietet sowohl jüngeren als auch älteren Leserinnen und Lesern ein großes Lesevergnügen. Ein überaus empfehlenswertes und lesenswertes Kinderbuch, das Neugierig macht und einen offenen Blick für das Schicksal und das Leben fördert.



Liliana Bodoc, Der afrikanische Spiegel. Übers. Renate Weitbrecht, ill. v. David Dean, ab 9 Jahren
Ravensburg: Ravensburer-Verlag 2011, 128 Seiten, 13,40 €, ISBN: 978-3-473-36815-0

 

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Andreas Markt-Huter, 15-03-2012

Bibliographie

AutorIn

Liliana Bodoc

Buchtitel

Der afrikanische Spiegel

Originaltitel

El espejo africano

Erscheinungsort

Ravensburg

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Ravensburer-Verlag

Illustration

David Dean

Übersetzung

Renate Weitbrecht

Seitenzahl

128

Preis in EUR

13,40

ISBN

978-3-473-36815-0

Lesealter

Zielgruppe

Kurzbiographie AutorIn

Liliana Bodoc wurde in Santa Fe in Argentinien geboren. Sie studierte und lehrte moderne Literatur und lebt in Buenos Aires. Berühmt wurde sie durch die Fantasy-Trilogie „Die Grenzländersaga“.