Lesen in Tirol - Öffentliche Bibliotheken: Die Öffentliche Bibliothek der Gemeinde Thaur, Interview Teil 1

Wer in Thaur auf das Gemeindeamt geht, kommt seit ein paar Monaten an einem schön gestalteten Schaufenster vorbei, in dem Bücher um die Aufmerksamkeit der Betrachter buhlen. Im Jänner waren es Sachbücher, mit denen gezielt das Interesse der männlichen Leser auf einen Besuch der neu errichteten Öffentlichen Bibliothek geweckt werden sollte.

Eröffnet wurde die neue Bücherei im Gemeindeamt in Thaur am 3. August 2004. Auf 90 m2 bietet die Bücherei 6.563 Medien an, davon 2.914 Kinder- und Jugendbücher, 1.967 Bücher aus dem Bereich Belletristik, 1.118 Sachbücher, 12 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, 163 CD-Roms und seit kurzem auch 116 Kinderhörbücher. Die Öffentliche Bibliothek Thaur wird derzeit von 12 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen betreut.

Charakteristisch für eine Öffentliche Bücherei auf dem Land ist die Zusammensetzung der ca. 500 BibliotheksbenützerInnen: 4/5 sind Frauen und Kinder und nur 1/5 Männer und Jugendliche. Obwohl die Bücherei wegen des Umbaus und der Übersiedlung vom Vereinshaus in die neuen Räumlichkeiten im Gemeindeamt lange Zeit geschlossen bleiben musste, kann sich die Anzahl von 10.762 Ausleihen im Jahr 2004 sehen lassen.

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Nicht nur die Räumlichkeiten wurden erneuert sondern auch die Öffnungzeiten der Bücherei wurden den Bedürfnissen der BesucherInnen angepasst.
Foto: Markt-Huter

 

Die Öffnungszeiten der Bibliothek Thaur:

Montag 9.30 bis 11.30,
Dienstag: 16.00 bis 19.00 und
Freitag: 16.30 bis 19.30.

 

Die Hitliste bei den Ausleihen in der Bibliothek Thaur 2004:

Kinder- und Jugenbüchern: Joanne K. Rowling, Harry Potter und der Orden des Phönix
Belletristik: Tamara McKinley, Matildas letzter Walzer
Sachbuch: Lance Armstrong, Jede Sekunde zählt
Zeitschriften: Kochen und genießen 2004/Nr. 7
CD-Rom: Walt Disney, König der Löwen 2 ? Simbas Reich
Hörbücher: Der kleine Eisbär und der Angsthase

Relativ wenig genutzt wird derzeit noch ein Serviceangebot, das bereits einige Öffentliche Bibliotheken ihren BenützerInnen anbieten können: Die Möglichkeit über Internet nach Medien der Bücherei zu suchen und diese reservieren zu lassen. Wenig bekannt ist in Thaur auch das Angebot an Zeitschriften und Magazinen in der Öffentliche Bibliothek wie z.B.: P.M.-Magazin, Kochen & Genießen, Schöner Wohnen, Mein schöner Garten u.a.

 

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Lesen in Tirol führte mit Ulrike Lechner, Leiterin der Öffentlichen Bibliothek Thaur, ein ausführliches Interview. Dabei kamen die Errichtung der neuen Bücherei, die Entwicklung des Bibliothekswesens in Thaur und die Probleme einer Öffentlichen Bücherei in einer kleineren Gemeinde ebenso zur Sprache, wie das Medienangebot und die Ziele der Öffentlichen Bibliothek Thaur in der näheren Zukunft.

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Ulrike Lechner, die Leiterin der Öffentlichen Bibliothek Thaur, ist seit mittlerweile 22 Jahren im Büchereiwesen in Thaur tätig.
Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Welchen thematischen Schwerpunkt verfolgt hat die Bücherei Thaur derzeit?

Ulrike Lechner: Derzeit versuchen wir speziell Männer anzusprechen, indem wir im Schaufenster vor allem Sachbücher präsentieren. Wir wollen für Männer aufzeigen, dass es in der Bücherei auch für ihre Interessen einiges zu finden gibt. Der Großteil unserer Leser liest vor allem unterhaltsame Romane. Wir haben versucht den Rahmen, mit Belletristik und Sachbüchern weiter zu spannen und konnten dadurch auch mehr Leser gewinnen. Unser Sorgenkind ist aber der Jugendbereich: Wir haben augenblicklich mehr Ausleihen bei Männern als bei Jugendlichen.

Bei den neuen Medien gehen wir weg von der CD-Rom und hin zum Kinderhörbuch. Der Aufbau einer CD-Rom-Sammlung hat sich meines Erachtens als Fehler erwiesen. Sie veralten zu schnell und sind viel zu teuer, in Relation zur geringen Nachfrage. Hervorragend verleihen sich hingegen Kinderhörbücher, die sich seit August in unserem Programm befinden. Wir konnten seit dieser Zeit mehr Kinderhörbücher verleihen als CD-Roms im ganzen Jahr.

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Durch Sachbücher sollen gezielt auch Männer für einen Besuch in der Bibliothek interessiert werden.
Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Befinden sich auch Hörbücher für Erwachsene im Programm der Bücherei?

Ulrike Lechner: Nein und ich möchte sie auch gar nicht in unser Programm aufnehmen. Ich habe mich in verschiedenen Büchereien umgehört und es hat sich gezeigt, dass Hörbücher für Erwachsene nur dort gut angenommen werden, wo auch eine große Auswahl angeboten werden kann, wie z.B. in Schwaz mit ca. 2.000 Hörbüchern. Es macht ja auch keinen Sinn mit 50 Büchern einen Verleih zu machen. Ich kann einfach aus finanziellen und aus Platzgründen kein ausreichend großes Angebot an Hörbüchern für Erwachsene aufbauen. Vielleicht versuchen wir in Zukunft Texte von Klassikern als Hörbücher anzubieten, weil diese auch von Schülen gebraucht werden könnten. Ansonsten bleiben wir bewusst bei Kinderhörbüchern.

Lesen in Tirol: Wo erfolgt eine Zusammenarbeit der Öffentlichen Bücherei mit der Schule?

Ulrike Lechner: Eine Zusammenarbeit gibt es anlässlich des Andersentages an dem die neun Schulklassen in die Bücherei kommen. Eine andere Zusammenarbeit erfolgt mit der Aktion Leserstimmen?, wo wir heuer z.B. den Kinder- und Jugendbuchautor Heinz Janisch eingeladen haben, der uns bereits 2002 besucht hat.

Lesen in Tirol: Welche Rolle spielen Veranstaltungen in der Bücherei Thaur?

Ulrike Lechner: Veranstaltungen finden bei uns relativ wenige statt. Im letzten Jahr ist es uns zwar gelungen eine große Veranstaltung mit Altbischof Reinhold Stecher durchzuführen. Aber das war sicher etwas Einmaliges. Vom Land Tirol wurden früher immer wieder subventionierte Veranstaltungen angeboten. Das gibt es aber heute nicht mehr. Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche haben wir, ehrlich gesagt, nie gebraucht.

Ich würde heuer aber gerne so etwas wie ein Kasperltheater aufführen. Bei Veranstaltungen für Erwachsene erscheint uns das Risiko eines finanziellen Fehlschlags aufgrund der Konkurrenz durch andere Vereine einfach als zu groß. Man muss sich schon sehr gut überlegen, eine Veranstaltung zu machen, die ja nicht gerade wenig kostet.

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Die Kinderleseecke in der Öffentlichen Bibliothek Thaur.
Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Was sind die Beweggründe für ihre ehrenamtliche Tätigkeit in einer Öffentlichen Bibliothek?

Ulrike Lechner: Warum macht man diese Arbeit? Einfach weil man Freude damit hat. Natürlich ist die Liebe zum Lesen ein wichtiger Punkt. Wir haben Leser aus der Umgebung, die zu uns kommen, nur um einen persönlichen Kontakt zu haben. Da bekommt man auch sehr viele positive Rückmeldungen, die Freude bereiten. Bei uns in Thaur kommt noch hinzu, dass es kein Geschäft und keine Post mehr gibt und daher das Dorfleben praktisch verloren gegangen ist. Der beste Treffpunkt in Thaur ist im Augenblick, so traurig das klingen mag, der Friedhof.

Lesen in Tirol: Konnte die Bücherei dieses Vakuum ausfüllen und sich als Treffpunkt etablieren?

Ulrike Lechner: Nun ja, inzwischen schon. Aber es besteht immer noch eine gewisse Hemmschwelle. Ein Nichtleser traut sich selten in die Bücherei zu kommen. Hier müssen wir noch über viele Jahre Aufbauarbeit leisten. Da es in Thaur nur eine Volksschule gibt und die Jugendlichen entweder in Innsbruck, Hall oder Absam in die Schule gehen, besuchen sie unsere Bücherei meist nur, wenn sie Literatur für ein Referat benötigen.

Lesen in Tirol: Haben sich die verlängerten Öffnungszeiten bis in die Abendstunden bewährt?

Ulrike Lechner: Im Sommer sind die längeren Öffnungszeiten bis 19 Uhr 30 sehr gut angenommen worden. Im Winter ist es teilweise ruhiger. Es wurden sicherlich früher viele Leute durch die starren Zeiten von 16 Uhr 30 bis 18 Uhr 30 von einem Besuch der Bücherei ausgeschlossen.

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Die Öffentliche Bibliothek Thaur informiert ihre BesucherInnen auch über Internet.
Foto: Markt-Huter

 

Lesen in Tirol: Werden die Angebote der Bücherei über das Medium Internet angenommen?

Ulrike Lechner: Das Internet spielt bei uns eigentlich keine Rolle. Es ist noch viel zu unbekannt. Ich weise zwar immer wieder, auch im Gemeinderat, auf die Möglichkeit hin, dass bei uns Bücher über Internet recherchiert und reserviert werden können. Dieses Angebot wird aber im Augenblick noch nicht angenommen.

Lesen in Tirol: Welches sind die nächsten Ziele, die umgesetzt werden sollen?

Ulrike Lechner: Als nächste Ziele sind sicherlich die Organisation der Veranstaltungen Leserstimmen? und des Andersentages? zu nennen. Ich möchte mich aber auch darum kümmern, dass unser gutes Angebot an Zeitschriften besser genützt wird. Wir haben ein tolles Angebot und unsere Jahresgebühr entspricht nicht einmal dem Preis einer Zeitschrift. Ein Ziel wäre vielleicht noch, die Bücherei wirklich mehr zu einem Kommunikationszentrum in der Gemeinde zu machen. Ich hoffe es gelingt mit einem Tag der offenen Tür.

 

 

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Weiterführende Links:

Öffentliche Bibliothek Thaur

 

Andreas Markt, 21-02-2005

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