Sind Österreicher lesefaul - Lesekultur im europäischen Vergleich

Ländervergleiche im Bereich der Bildung erfreuen sich seit den beiden PISA-Studien großer Aufmerksamkeit. Ein guter Grund einmal das Leseverhalten der Österreicherinnen und Österreich mit dem Leseverhalten in anderen Staaten der Europäischen Union zu vergleichen.

Während die PISA-Studie die Testergebnisse von SchülerInnen und Schüler im Alter zwischen 15 und 16 Jahren international vergleicht, soll im folgenden Fragen nach der „Lesekultur“ europäischer Bürger ab dem 15. Lebensjahr näher nachgegangen werden. Wie unterscheidet sich das Leseverhalten in Österreich vom Leseverhalten in anderen europäischen Ländern? Wie viele Bücher lesen Herr und Frau Österreicher im Durchschnitt, aus welchen Gründen lesen sie und wie oft besuchen sie eine Bibliothek? Liegt Österreich im europaweiten Vergleich bei den Erwachsenen besser als die 15-/16-jährigen bei der PISA-Studie?

Wie häufig und wie gerne Erwachsene zu Büchern greifen und wie häufig sie eine Bücherei besuchen, gibt nicht nur Aufschluss über das eigene Leseverhalten sondern auch über das kulturelle Umfeld, in dem bereits kleine Kinder ihre ersten Erfahrungen mit dem Lesen und mit Büchern sammeln. Um das große Informationsangebot in der heutigen Gesellschaft bewältigen zu können, wird eine hochentwickelte Lesekompetenz eine immer wichtigere Voraussetzung. Diese kann vor allem durch das Lesen von Büchern selbst gewonnen werden: Lesen muss durch Lesen geübt werden!

Auch wenn sich in ganz Europa der Trend abzeichnet, dass Menschen immer weniger lesen, können im Leseverhalten in den einzelnen Ländern doch deutliche Unterschiede festgestellt werden.

So gaben 38,1 % der österreichischen Staatsbürger über 15 Jahren bei einer statistischen Erhebung im Dezember 2000 an, im Jahr 2000 kein einziges Buch gelesen zu haben. Trotz dieses relativ hohen Anteils an Nichtlesern liegt Österreich noch besser als der europäische Durchschnitt und im Vergleich der EU-15-Länder an 7. Stelle. Am schlechtesten hat bei den „Nichtlesern“ Portugal abgeschnitten, wo 67,3% der Befragten das ganze Jahr kein einziges Buch gelesen haben. Die wenigsten „Nichtleser“ in Europa finden sich in Schweden (19,3%) und Finnland (23,9%).


Nur beim Anteil der Personen die angaben, im Jahr 2000 kein einziges Buch gelesen zu haben, lag Österreich beim Ländervergleich im Mittelfeld und besser als der Durchschnitt der EU-15 Länder (42,1%).

 

Um den Stellenwert, den das Lesen in einer Gesellschaft einnimmt, erkennbar zu machen, soll der Fragestellung nachgegangen werden, ob jemand mehr als acht Bücher im Jahr gelesen hat. Dabei ist aber nicht nur die Anzahl der Bücher von Bedeutung sondern auch die Motivation, mit der die Bücher gelesen worden sind. Gefragt wurde daher nach Büchern, die aus anderen Gründen als für die Arbeit und das Studium gelesen wurden. Mit anderen Worten: Wie viele Bücher wurden freiwillig und zum eigenen Vergnügen gelesen.

Wen bereits die Tatsache erschreckt, dass bei der PISA-Studie 2001 von mehr als der Hälfte aller befragten Schülerinnen erklärt worden ist, „keine große Freude am Lesen“ zu haben, der wird auch nicht beruhigend finden, dass nur 26,3% der „lesenden ÖsterreicherInnen“ mehr als acht Bücher im Jahr lesen. Österreich liegt damit im Ländervergleich an 11. Stelle und weit unter dem EU-15–Durchschnitt von 35,5%. Am stärksten zeigt sich die Lesekultur in England ausgeprägt, wo 51,9% der LeserInnen mehr als acht Bücher lesen. 34,3% der „lesenden Bevölkerung“ gab hier sogar an, mehr als 13 Bücher im Jahr zu lesen. Das Schlusslicht bildet auch hier wieder Portugal mit einem Anteil von 14,7%.

 
Beim Vergleich der Bevölkerung mit einem ausgeprägten Leseverhalten liegt Österreich im untersten Drittel und relativ weit unter dem EU-15 Durchschnitt. Diagramm: Markt-Huter

Ein weiteres Indiz für die Lesekultur eines Landes ist der Stellenwert, der den öffentlich zugänglichen Bibliotheken zu kommt. 81,6% der ÖsterreicherInnen gaben an, im Jahr 2000 keine Bibliothek besucht zu haben. Damit liegt Österreich im EU-15 Vergleich an 12. Stelle und weit über dem EU-15 Durchschnitt von 70,2%. Ein vollkommen anderes Bild bieten die Skandinavischen Länder Finnland (32,2%), Schweden (34,7%) und Dänemark (39%). Am schlechtesten schneiden bei diesem Vergleich Portugal, Italien und Griechenland ab, so dass sich für den Bibliotheksbesuch ein deutliches Nord- Südgefälle erkennen lässt.


Ein deutliches Nord- Südgefälle lässt sich bei der Nutzung der Bibliotheken erkennen, wobei die großen Unterschiede zwischen einzelnen Ländern besonders ins Auge stechen. Diagramm: Markt-Huter

 

Nicht nur der Anteil der Bevölkerung der überhaupt eine Bibliothek in Anspruch nimmt, gibt Aufschluss über die Bibliothekskultur eines Landes, sondern auch die Anzahl der Besuche in einer Bücherei während eines Jahres. Also: wie viele Personen haben im Jahr 2000 relativ häufig, d.h. mindest 7x eine Bibliothek besucht. Vergleicht man diese Zahlen, rutscht Österreich bei den "häufigen Bibliotheksbesuchen" vom 12. auf den 13. Platz zurück. Nur 4,6% der Österreicherinnen und Österreicher haben erklärt, 7x oder öfter in einer Bücherei gewesen zu sein. Österreich liegt damit knapp vor Portugal (3,8%) und Griechenland (2,2%) aber weit hinter Finnland (40,7%), Dänemark (30,9%) und Schweden (28,7%).


Die Häufigkeit der Bibliotheksbesuche zeigt ein ähnliches Bild, wie das Diagramm zuvor, wobei auch hier Österreich weit abgeschlagen im untersten Drittel zu finden ist. Diagramm: Markt-Huter

 

Zusammenfassend ergibt sich für die Lesekultur in Österreich ein Bild, das wenig Grund zur Freude bietet und es ist mehr als unwahrscheinlich anzunehmen, dass sich der Stellenwert des Lesens in Österreich bis heute dramatisch zum Positiven geändert haben dürfte. Es bleibt festzuhalten: Im Durchschnitt lesen die ÖsterreicherInnen sehr wenig. Sie lesen hauptsächlich dann, wenn sie sich im Beruf oder im Rahmen ihrer Ausbildung dazu gezwungen sehen. Zum eigenen Vergnügen wird in Österreich relativ wenig gelesen und von den deklarierten LeserInnen ist lediglich ein Viertel zur Gruppe der „Vielleser“ zu zählen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich für die Bibliotheksbesuche: In Österreich spielen Büchereien im Leben der Bevölkerung eine relativ untergeordnete Rolle. Ein überwiegend großer Teil der Bevölkerung besucht nie oder nur sehr selten eine Bücherei.

Wenn es um Lesen und Lesekultur geht, sind die Skandinavischen Länder wie bei der PISA-Studie ganz vorne zu finden. Die meisten „Vielleser“ finden sich aber in England und Frankreich. Generell ergibt sich bei allen untersuchten Fragen der „Lesekultur“ ein deutliches Nord – Südgefälle, wobei Österreich in den meisten Bereichen schlechter als der EU-15-Durchschnitt abschneidet und im hintersten Feld rangiert. Im Vergleich der 15 EU-Staaten müssen die ÖsterreicherInnen als "lesefaul" bezeichnet werden.

Wenn der Vorbildwirkung von Erwachsenen für das Lesen wirklich jene Bedeutung zukommt, die ihr von pädagogischer Seite beigemessen wird, ist es nicht nur wichtig, das Lesen in den Schulen zu fördern, sondern auch den allgemeinen Stellenwert des Lesens und der Bibliotheken in der Gesellschaft zu heben. Sicherlich kein leichtes Unterfangen, aber ein Unterfangen, das in Hinblick auf die Stärkung der Lesekultur in unserem Land den Aufwand allemal lohnen würde.

 

Andreas Markt-Huter, 15-11-2006

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