Don Winslow, Das Kartell

Im perfekten Roman ist die dargestellte Fiktion so wirklich, dass man damit in der Wirklichkeit etwas anfangen kann, auch wenn es keine Hilfestellung dafür gibt.

Don Winslows „Kartell“ ist natürlich ein Thriller, was die äußere Aufmachung und das Marketing betrifft, in seinem Kern ist der Roman aber ein Stück von der Hinterseite jener Währung, die uns im scheinbar fernen Europa als goldenes US-Wesen dargeboten wird. Im Gewusel aus hunderten Plots geht es um Krieg, feindliche Übernahmen, Scheinfirmen, Korruption und Gewalt. Die Schauplätze liegen zwar meist in einem Mexikanischen Bundesstaat, gesteuert wird das Ganze freilich direkt aus Washington heraus. Und wenn Mexiko für die Kriege zu klein wird, weicht man stracks in südliche Guatemala aus.

Um den Filz ein wenig zu strukturieren, gibt es auf der einen Seite den Agenten Keller, der Ordnung in das Desaster um Drogen und Waffen bringen soll, Gegenspieler und fallweise Verbündeter ist Barrera, der allmählich in den Nuller Jahren jenes Drogen-Kartell errichtet, das sich zwischen pazifischem und atlantischen Ozean erstreckt. Wie in alten Abenteuerromanen sind in der hinteren Klappe Landkarten mit den wichtigsten Orten und Kampfzonen eingeklebt.

Wer die Macht an sich reißen will, muss dies auf den drei klassischen Plattformen tun: militärisch, politisch, medial. Auf allen drei Ebenen spielt die öffentlich sichtbare Welt mit der unsichtbaren geheimen. Man kann davon ausgehen, dass zu jedem offiziellen Satz ein Agentensatz fällt, für jedes öffentliche Geschäft gibt es ein geheimes.

Eine Faustregel in diesem Kartell-Wesen des Kapitalismus lautet: Mexiko ist nur die tödliche Spielwiese für jene Geschäfte, die in den USA spielen. So geht es nur indirekt um Drogen, in der Hauptsache geht es darum, wer die Grenze kontrolliert und wer im Wirtschaftsabkommen NAFTA die Strippen zieht.

Don Winslow bedient sich der Erzählmethode von Outlines, dabei rinnt ein Fließtext über ein Sieb von Handlungsstrukturen und die einzelnen Kapitel tropfen scheinbar nach dem Zufallsprinzip aus. Dabei entstehen unzählige Fallgeschichten, die sich allmählich zu einem dichten, mehrschichtigen Bild verfestigen. In die Dialoge sind fachspezifische Analysen eingelagert, regelmäßig gibt es so etwas wie eine Zusammenfassung als Lebensweisheit.

Kein Plan überlebt die erste Feindberührung! (814)

Und warum muss dieser Roman so umfangreich sein? Weil es die einzige Chance ist, einen Lebenszustand zu beschreiben, in dem sich alle Formen der Zivilisation aufgelöst haben. Insgesamt gibt es Tausende Tote, bei jedem Umblättern kracht es, die Angst überträgt sich auf den Leser, wie wird die Figur auf der nächsten Seite ums Leben kommen?

Das Kartell zeigt die pure Apokalypse und wir können uns noch nicht vorstellen, wie wir sie aufhalten können. Denn das Kartell ist längst aus Mexiko hinausmarschiert und hat unter anderem in Europa seine Zelte aufgeschlagen. - Und alles ist beängstigend wahr.

Don Winslow, Das Kartell. Roman. A. d. Amerikan. von Chris Hirte [Orig.: The Cartel, New York 2015]
München: Droemer Verlag 2015, 831 Seiten, 17,50 €, ISBN 978-3-426-30429-7

 

Weiterführende Links:
Droemer Knaur Verlag: Don Winslow, Das Kartell
Wikipedia: Don Winslow

 

Helmuth Schönauer, 23-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Don Winslow

Buchtitel

Das Kartell

Originaltitel

The Cartel

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Droemer Knaur Verlag

Übersetzung

Chris Hirte

Seitenzahl

831

Preis in EUR

17,50

ISBN

978-3-426-30429-7

Kurzbiographie AutorIn

Don Winslow, geb. 1953 in New York, lebt in Kalifornien.