Thomas Ballhausen (Hg.): Die herzzerreißenden Abgründe des Gustav Ernst

thomas ballhausen, gustav ernstIn den 1970er Jahren hat der Referent bei Bibliotheksseminaren immer auf den feinen Unterschied hingewiesen: Es gibt den Heimat-Ernst und den Wilden-Ernst! Mittlerweile ist der massenhaft verbreitete Hans Ernst aus den Regalen ausgeschieden worden, während der unverwüstliche Gustav Ernst hoffentlich in jeder Bücherei steht.

Für die halbwegs gültige Einschätzung eines Literaturwerkes ist es immer günstig, wenn Angehörige der nächsten Generation die Würdigung übernehmen, bei der durchaus auch Zeitgenossen zu Wort kommen können. Thomas Ballhausen, Jahrgang 1975, hat knapp ein Dutzend Kolleginnen und Fans aufgeboten, um den Meister, Jahrgang 1944, in groben Zügen aufzubereiten. Das ist auch notwendig, denn allein das Schriftenverzeichnis der Gustav Ernst umfasst beinahe dreißig Seiten.

In schroffen Zügen könnte man Gustav Ernsts Stationen festmachen an einem literarischen Realismus, der in den 1970er Jahren alle Schattierungen von Kopfschütteln ausgelöst hat, an einem Theater, das die Figuren eher Bauch- als Kopfsätze ausspucken läßt, an den beiden Zeitungen Wespennest und Kolik und dem Spätwerk Beste Beziehungen – Grundlsee – Zur unmöglichen Aussicht.

Wenn nun eine nächste Generation kurz über so ein Lebenswerk drüberschweift, kann sie ein paar Dinge aus der jüngeren Zeitgeschichte erfahren. Wie ist das wirklich gewesen mit der Aufbruchsstimmung der Kreisky-Jahre? Wie hat sich eine Szene angefühlt, welche die prekären Situationen noch thematisiert und den Helden teilweise in den Mund gelegt hat? Wie hat man im Genre Literaturzeitschrift diskutiert, ehe dieses zuerst im Hochglanz und später im Nonsens-Design verschwunden ist? Wie kaputt sind die Helden, die einen ähnlichen Lebenslauf hinlegen müssen wie der Autor?

Markus Köhle erklärt den schönen Unterschied zwischen Wespennest und Kolik, und warum Kolik der wichtigste Zustand des Literaturgefühls ist. Hans Höller versetzt sich mit großer Hingabe in einen Zuhörer der Rede „Die Frau des Kanzlers“. In dieser Rede kündigt die Frau eines fiktiven Kanzlers diesem privat die Scheidung an, weil er politisch so einen Scheiß macht. Ulrike Krawagna erzählt von den soziologischen Begleiterscheinungen, die ein Held Marke „Einsame Klasse“ hinter sich herzieht, wenn er über den eigenen Zustand zu reflektieren beginnt.

In einem philosophischen Kabarett, das echt in der Alten Schmiede stattgefunden hat, werfen sich Franz Schuh und Gustav Ernst sinnliche Gedankenbälle zu, die sich gar nicht auffangen lassen, weil sie einfach in der Luft stehen bleiben und das Publikum verzaubern. Dieser Dialog lässt erahnen, wie tiefsinnig man im Land reden könnte, wenn es tiefsinnige Leute gäbe.

Zwischen die Aufsätze sind Originalzitate Gustav Ernsts eingelagert, die die Leserschaft in Unruhe versetzen, weil sie vielleicht noch nicht alles gelesen haben. Gustav Ernsts Romane nämlich sind so wahr und logisch, dass man Österreich im Grundlsee-Dämmer nur begreift, wenn man Grundlsee gelesen hat.

Thomas Ballhausen (Hg.): Die herzzerreißenden Abgründe des Gustav Ernst
Mit Beiträgen und Statements von u.a., Hans Höller / Ulrike Krawagna / Markus Köhle / Martin Kubaczek / Gabriele Mathes / Franz Schuh
Wien: Sonderzahl Verlag 2016, 219 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-85449-453-9

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Thomas Ballhausen (Hg.): Die herzzerreißenden Abgründe des Gustav Ernst
Wikipedia: Gustav Ernst
Wikipedia: Thomas Ballhausen

 

Helmuth Schönauer, 17-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Hans Höller / Ulrike Krawagna / Markus Köhle / Martin Kubaczek / Gabriele Mathes / Franz Schuh

Buchtitel

Die herzzerreißenden Abgründe des Gustav Ernst

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Sonderzahl Verlag

Herausgeber

Thomas Ballhausen

Seitenzahl

219

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85449-453-9

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Ballhausen, geb. 1975 in Wien, lebt in Wien.

Gustav Ernst, geb. 1944 in Wien, Mitherausgeber der Kolik, lebt in Wien.