Wolfgang Streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie

wolfgang streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie„Dieses Buch steht, wie vieles, was heute geschrieben wird, in der Tradition Karl Polanyis. Gegenstand jeder politischen Ökonomie in seiner Nachfolge, theoretisch wie praktisch, ist die gesellschaftliche Einbettung der unter dem Liberalismus losgelassenen kapitalistischen Ökonomie – die Sozialisierung der Ökonomie zur Verhinderung der Verwirtschaftung der Gesellschaft. Einbettung heißt Rückgewinnung gesellschaftlicher Kontrolle über den Selbstlauf selbstregulierender Märkte.“ (S. 9)

Wolfgang Streeck geht der Frage nach den Ursachen zunehmender politischer, sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen sowie den schwindenden politischen Lösungsmechanismen in unserer globalisierten Welt nach und stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Globalismus und Demokratie. Liegt die Lösung in mehr überstaatlicher Zentralisierung oder kleineren staatliche Einheiten?

Wolfgang Streeck sieht die Gegenwart in einer doppelten Krise gefangen, die sich als Wirtschaftskrise und als Staaten bzw. Staatlichkeitskrise äußert und eine Stagnation sowohl in Wirtschaft als auch Politik bewirkt. Die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte mit dem Aufbau immer größerer wirtschaftlicher und politischer Einheiten ist an ihre Grenzen gekommen. Das zeigt sich am deutlichsten in der politischen Stagnation der Europäischen Union, der es seit Jahren nicht mehr nicht gelingt ihre wirtschaftlichen und politischen Krisen zu bewältigen und die zwischen Globalismus und Demokratie steckengeblieben sei.


In fünf Kapiteln wird das Spannungsverhältnis zwischen Globalismus und Demokratie sowie die wichtige Rolle, die der Nationalstaat für das politische und wirtschaftliche Zusammenleben spielt, untersucht. Im ersten Kapitel „Kapitalistische Wirtschaft, demokratische Politik: Die doppelte Krise des Neoliberalismus“ wird der strukturelle Ursache für die Krise des Neoliberalismus nachgegangen, die einerseits aus einem deregulierten, finanzgetriebenen Kapitalismus hervorgegangen ist. Auf der anderen Seite trifft die Globalisierung zunehmend auf Widerstand in der Bevölkerung der Nationalstaaten.

Kapitel zwei „Staaten und Staatensysteme: Integration und Differenzierung“ verweist auf Untersuchungen von Edward Gibbon und Karl Polanyi, die sich für überschaubare Staatensystem ausgesprochen haben, deren Größe demokratische Verhältnisse fördern und supranationalen Einheiten wie einem Weltstaat überlegen seien. Wer funktionierende Demokratien verwirklichen will, muss Kleinstaaten Großstaaten vorziehen.

Kapitel drei „Durchbruch nach oben? Großstaaterei und ihre Grenzen“ zeigt auf, dass sich wirtschaftliche und politische Stagnation der Gegenwart nicht durch noch mehr Globalisierung lösen lassen werden, da sie zunehmend auf den Widerstand der Bevölkerungen in den Regionen stößt.

In Kapitel vier „Europa: Gescheiterter Superstaat, scheiterndes Imperium“ werden die Verhältnisse in der Europäischen Union untersucht, die Streeck bereits in der politischen Konstruktion der Staatengemeinschaft grundgelegt sieht. Selbst den beiden Hegemonialmächten Deutschland und Frankreich gelingt es nicht, die Stagnation der europäischen Politik und die anhaltende Wirtschaftskrise zu lösen.

Kapitel „Ausweg nach unten: Kleinstaaterei und ihre Möglichkeiten“ zeigt Alternativen zur Globalisierung auf und setzt sich für ein wiedererstarken nationaler Kompetenzen ein, indem der Nationalstaat demokratisch legitimiert seine soziale und wirtschaftliche Schutzfunktion wieder ausüben kann. Selbst für den Bereich des Umweltschutzes sieht er in einer engen Zusammenarbeit unabhängiger Nationalstaates effektiveres Handeln möglich als in global gesteuerten Einrichtungen und Zusammenschlüssen.

Wolfgang Streeck spricht sich in seiner Darstellung klar für eine Renaissance des Nationalstaates aus, dessen Gesellschaft und Wirtschaft sich vom Neoliberalismus abwenden und an den Ideen eines Karl Polanyi und John Maynard Keynes ausrichten sollten. Ziel müssen kleine souveräne Nationalstaaten sein, die zwar eng zusammenarbeiten sollen, aber dennoch ihre eigene Identität und Prinzipien beibehalten können.

„Zwischen Globalismus und Demokratie“ setzt sich detailliert und nachdrücklich mit zentralen gesellschaftlichen Spannungsfeldern auseinander, die in der Gegenwart zunehmend zu spürbaren politischen Verwerfungen führen. Dabei zeigt er gezielt die Gefahren der Globalisierung und das Scheitern einer neoliberalen Gesellschaftsentwicklung auf und zeigt, dass demokratische Entscheidungen und Beteiligungen der Bürger nur in kleineren Staaten möglich sind. Ein überaus empfehlenswertes und anregendes Sachbuch, das sich mit zentralen gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Problemen der Gegenwart auseinandersetzt.

Wolfgang Streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie. Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus
Berlin: Suhrkamp Verlag 2021, 538 Seiten, 28,80 €, ISBN 978-3-518-42968-6

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Wolfgang Streeck, Zwischen Globalismus und Demokratie
Wikipedia: Wolfgang Streeck

 

Andreas Markt-Huter, 13-09-2021

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Streeck

Buchtitel

Zwischen Globalismus und Demokratie. Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

538

Preis in EUR

28,80

ISBN

978-3-518-42968-6

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Streeck war bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Academia Europaea, Korrespondierendes Mitglied der British Academy sowie Honorary Fellow der Society for the Advancement of Socio-Economics.