Ludwig Roman Fleischer, Atlantis

ludwig roman fleischer, atlantisIn der vollkommen geglückten Geschichtsschreibung fallen individuelle Schicksale gestochen scharf aus der Teigmasse der allgemeinen Geschichte, der Vorgang des Erzählens gleicht dabei dem Keksausstechen eines neugierigen Kindes aus dem ausgewalzten Teig.

Ludwig Roman Fleischer beschreibt schon seit Jahrzehnten nichts anderes als die jeweilige Gegenwart, dabei sind seine Romane oft blumiger und ermunternder als die dargestellte Gesellschaftsmasse. Im aktuellen Roman „Atlantis“ nähern sich angehende Pensionisten auf einem Kreuzfahrtschiff einem Felsen, an dem sie glücklicherweise zerschellen dürfen.

Atlantis ist ein Kreuzfahrtschiff, das hauptsächlich für Seniorentransporte auf dem Weg ins Jenseits verwendet wird. Die Tickets dazu liegen oft an diversen Supermärkten auf und werden wie alle Schnäppchen in voller Gier gesammelt, aber selten genossen.

Sechs Heldinnen und Helden stoßen in sechs Kapiteln in die entscheidende Phase ihres Lebens vor, ehe sie im Epilog samt einem Rettungsboot in Verschollenheit geraten und nicht mehr gesehen werden. Lehrer, Ärztin, Hackler, Fernmeldefrau, Priester und Pflegeschwester stehen vor dem ultimativen Lebensabschnitt „Pension“. Dabei zählt der eine seine Tage herunter wie eine negative Schwangerschaft, während es ein anderer kaum mehr erwarten kann, bis er von der Schwerkraft des Berufslebens erlöst ist.

In der Zeit rund um den Pensionsantritt liegen die Berufsnerven blank, der Lehrer kriegt kaum mehr einen gesunden Gedanken hoch, während die Pflegeschwester schon den Zustand der siechen Kundschaft annimmt.

Auch wenn sie jetzt vom Hobel der Pension alle gleichgemacht sind, führen die Wege zu einer Pension über unterschiedliche Hürden, je nachdem ob man in der aktiven Zeit viel oder wenig hat arbeiten müssen.

Jetzt hat offensichtlich ein Glückscomputer diese sechs Schicksale ausgewählt und dem Luxusschiff zugeführt. Die kurze Zeit am Schiff jedenfalls bedeutet für die Senioren einen Ausnahmezustand an Glück, alles ist voller Wellness, aber nirgends ist es ruhig, alles ist voller Happyness, aber nirgends gibt es eine Öse, an der man das Glück festbinden könnte. Das Blabla an Versprechungen, wie es die Menschen ein Berufsleben lang erdulden haben müssen, quäkt sich bei den Senioren fort, indem alles am Schiff floskelhafte Fahrt aufnimmt. Das ganze Berufsleben wird durch die Kreuzfahrt konterkariert und zur Vollstreckung gebracht.

Dann läuft Atlantis auf einen Felsen auf, während die Besatzung die Uferbewohner mit einem Manöver namens „Verneigung“ grüßt. In die Verneigung hinein werden schon die ersten Rettungsboote zu Wasser gelassen. Das Boot Nummer sechs mit Österreichern an Bord verschwindet auf Nimmerwiedersehen.

Ludwig Roman Fleischer gewährt seinen Protagonisten eine gnädige Erlösung, während er ihnen im Berufsleben nichts schenkt. Das österreichische Seniorentum nämlich besteht aus der vollen Härte jener Lebenserzählung, die jäh in einem Punschkrapfen-rosa Nebel verstummt. – Eine Sozialstudie jenseits aller Versicherungsmathematik.

Ludwig Roman Fleischer, Atlantis. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2017, 202 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-14-8

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Ludwig Roman Fleischer, Atlantis
Wikipedia: Ludwig Roman Fleischer

 

Helmuth Schönauer, 04-07-2017

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Roman Fleischer

Buchtitel

Atlantis

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

202

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-14-8

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Roman Fleischer, geb. 1952 in Wien, lebt in Wien.