Markus Köhle, Jammern auf hohem Niveau

markus köhle_jammern auf hohem niveauDie Sprache ist durchaus menschlich wie die Menschen, die sie verwenden, deshalb trinkt sie selber gerne was und springt den Angetrunkenen leicht und im 3-D-Format von der Zunge. Auch ihr Niveau ist dabei höchst beachtlich und erhöht, sitzen die Sprach-Helden doch meist etwas abgehoben von der Umwelt auf Barhockern.

Markus Köhle, der Meister von Poetryslam und User dynamischer Satzbögen, verschafft mit seinem Barhocker-Oratorium diesen täglich in den Bars anströmenden Erkenntnissen, Schicksalen und Planungen ein Forum, von dem aus die Sätze in den Weltraum oder zumindest an die Bardecke geschossen werden können.

Wie in der großen Oper sind die Helden mit ihren Alltagsarien aufgefädelt, es gibt den Kellner, Privatgelehrten, Macher, die Lebensinitiatorin, abgelegte Liebhaber, Nebenrollen, Todesphilosophen, die Barhocker und ein Ich, das ein Poem schreibt. Dramaturgisch zusammengehalten wird das Ganze von den Barhockern, die ja auch nach der Sperrstunde noch in der Bar herumstehen müssen. Ihr Part ist deshalb in jenem Schrift-Blau gehalten, das in Mails als Grundeinstellung für Antworten vorgesehen ist. Die Barhocker sind um nichts zu beneiden, haben sie doch ständig einen Arsch ins Gesicht gedrückt, und auch sonst ist nicht alles stubenrein, was in dieser Stellung aus den Gästen herauskommt. Ein Barhocker bewacht sogar einen Zettelkasten, aus dem immer wieder kluge Sätze genommen werden, wenn gerade alle am Trinken und Hinunterschlucken sind.

Säßen alle mehr, müssten wir weniger durchstehen (26)

Die Gespräche haben zwar jeweils ein ordentliches Thema wie Sterbehilfe, Selbstsex oder Selbstgespräche, sie sind aber nie so angelegt, dass jemand darauf antworten müsste. Selbst eine Journalistin, die gerade ein Feature vorbereitet, denkt nicht im Traum daran, dass es eine Response auf das gibt, was sie herumsendet.

Ein anderer kann ganze Passagen von Peter Handke auswendig, aber niemand will das hören. Erst als jemand meint, der Tod sei das Ziel des Lebens, wird zumindest genickt. Dann dreht es sich gleich wieder um Schmor-Huhn, kaputte Speisen, Naseputzen, die nicht aus dem Loch herausgehen, und Tipps für die Schriftstellerei. „Sag nicht, schreib!“

Sogenannte Zäsur-Knalls lockern das Bar-Gemurkse immer wieder auf, indem sie wie ein Kalauer jene österreichischen Zustände besingen, die man nur bejammern kann.

Das Buch ist ein Gesamtkunstwerk, das man unbedingt zum nächsten Barbesuch mitnehmen sollte. Am Cover lässt sich der Bierdeckel abnehmen und als Vierzeiler an den Verlag schicken, hinten am Umschlag ist schon der Flüssigkeitsring abgebildet, wo man sein Glas daraufstellen kann, die einzelnen Ergüsse sind sauber den Protagonisten zugeordnet und lassen sich über das Jammer-Inventar locker abrufen. Bei dieser Gelegenheit sieht man auch, was die Helden getrunken haben, denn die Getränke sind in guter Gasthausmanier als Strichcodes auf den Bierdeckel geschrammt. Es sollen angeblich 171 Krügerl verzischt worden sein, kein Wunder also, wenn die Sprache in diesem Köhle-Kunstwerk wieder ordentlich austeilt.

Markus Köhle, Jammern auf hohem Niveau. Ein Barhocker-Oratorium
Wien: Sonderzahl Verlag 2017, 151 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85449-484-3

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Markus Köhle, Jammern auf hohem Niveau
Wikipedia: Markus Köhle

 

Helmuth Schönauer, 26-08-2017

Bibliographie

AutorIn

Markus Köhle

Buchtitel

Jammern auf hohem Niveau. Ein Barhocker-Oratorium

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

151

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85449-484-3

Kurzbiographie AutorIn

Markus Köhle, geb. 1975 in Nassereith, lebt in Wien.