Robert Prosser, Phantome

robert prosser, phantomeJedes geniale Kunstwerk hat einen Karabiner eingebaut, mit dem es sich um den Hals des Lesers schlingt wie ein Mühlstein, mit dem es aber auch den Leser sichert in einer unermesslich stabilen Felswand der Fiktion.

Robert Prosser hat mit seinen „Phantomen“ ein geniales Kunstwerk der Aufklärung und Nacharbeitung des „Bosnien“-Krieges geschrieben. Sein Karabiner, mit dem er an uns Leser andockt, ist die Welt der Graffiti. Jeder, der schon einmal das „Phantom“ Graffiti gesehen hat, ist von einem Gefühl des Verdrängens, der Neugier oder Ablehnung unterfüttert, nur die wenigsten machen sich Gedanken, wer hinter den „Graffs“ stecken könnte und was er damit bezweckt.

Der Roman ist in einer Zwinge der Gegenwart zusammengepresst. 2015 steigt der Ich-Erzähler zuerst in die Tiefen des Wiener U-Bahn-Netzes hinunter und später quer in die Ausläufer des Westbahnhofs, um eine ganze Garnitur zu graffen und zu signieren. Die Garnituren werden stets gereinigt, so muss man seine Kunst mit dem Smartphone dokumentieren. Letztlich geht es bei diesem Tun nur darum, „Da zu sein und zu markieren.“

Im sogenannten Kern des Romans geht es ebenfalls um dieses Markieren und Da-sein. Ohne Grund haben im sogenannten Jugoslawien-Krieg diverse Einheiten versucht, etwas zu markieren, freilich mit tödlichen Folgen.

Der Ich-Erzähler ist mit Sara liiert, deren Mutter Asina einst aus dem Bosnischen Teil des Krieges fliehen konnte und jetzt in Wien ein normales Leben zu führen versucht. Anlässlich des Jubiläums des Srebrenica-Massakers versuchen Exilanten, Übriggebliebene, politische Nachfahren und Ex-Patrioten so etwas wie eine gemeinsame Feier hinzukriegen. Bei dieser Gelegenheit werden auch wieder einige exhumierte Opfer identifiziert und bestattet. Rund um diese Feierlichkeit läuft der Krieg in den Köpfen weiter. Die Anwesenden leiden unter den Phantomschmerzen des Krieges, der noch lange nicht bewältigt ist.

Aus Gesprächen, Erzählungen und Interviews mit Überlebenden bastelt sich im Kopf des Sprayers ein historisches Gebilde heraus, das seltsam kalt an der Wand wirkt wie ein aktuell gespraytes Graffiti. Während Asina den Krieg aus Wien beobachtet, gelingt es ihrem Freund Jovan nicht, zu fliehen oder aus dem Hexenkessel zu entkommen. In seiner Revue laufen Dinge ab wie der erste Feind, dem man die Ohren abschneidet um den Ohrenschmuck verkaufen zu können, oder ein Gefangenenaustausch mit Toten, wo die Angehörigen mit einem Kleinwagen einen Leichnam abholen, der seltsam schlaff vom Rücksitz aus der kahlen Szenerie zuwinkt. Gesprühte Geschichtsschreibung könnte man diese verknappte, auf kurze Signale reduzierte Erzählweise nennen.

Während im vorderen Teil der Zwinge der Sprayer in Bosnien verschwindet, kriecht im hinteren Teil Jovan daraus als kaputter Mensch hervor. Er ist nach einem Überfall in Wien verurteilt worden und sitzt die Jahre in Stein ab. Auch er ist nur ein Phantom eines völlig zerstäubten und zerschnetzelten Krieges.

Robert Prossers Roman zeigt ein Stück handfester Fiktion, worin Geschichtsschreibung, Journalismus und Subkultur jeweils ihre Akkreditierung vorlegen.

Robert Prosser, Phantome. Roman
Berlin: Ullstein Verlag 2017, 320 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-96101-009-7

 

Weiterführende Links:
Ullstein Verlag: Robert Prosser, Phantome
Wikipedia: Robert Prosser

 

Helmuth Schönauer, 22-08-2017

Bibliographie

AutorIn

Robert Prosser

Buchtitel

Phantome

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Ullstein Verlag

Seitenzahl

320

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-96101-009-7

Kurzbiographie AutorIn

Robert Prosser, geb. 1983 in Alpbach, lebt in Wien.