Herbert J. Wimmer, Interfer

herbert wimmer, interferTollkühn lässt sich der Zustand „interfer“ als „ungefähr“ übersetzen. Interfer ist ein Zustand, welcher Interferenzen auslöst oder umgibt, und Interferenzen sind je nach Fachgebiet Überlagerungen von Schwingungen, Übertragungen zwischen zwei Sprachen oder Wechselwirkungen von Medikamenten. Jeder Mensch hat also die Gnade, in den Sog von Interferenzen zu kommen und dabei selbst interfer zu werden.

Herbert J. Wimmer arbeitet in seinem Roman Situationen heraus, worin es wenn nicht zu Störungen, so zumindest zu Überlagerungen kommt. Das Eingangskapitel bietet logisch nummeriert 89 Interferenzen, die sicherheitshalber auch noch nach Datum geordnet sind, vom 6. November bis zu 2. Februar. Diese Ordnungsprinzipien geben den einzelnen Begebenheiten Halt und fügen sie zu einem Erlebnisnetz zusammen, wie es in drei Monaten tatsächlich ausgeworfen sein könnte.

Dabei ist der Held ein Mittelding zwischen Ich-Erzähler und Blaunsteiner, eine pure Struktur, die sich als Vor-Ich oder Nach-Ich gerieren kann. Der Held entsteht aus dem Schreibvorgang, wenn er nicht gar dieser selbst ist. So kann die Tatstatur das Alter Ego sein, andererseits stört ein Sandkorn auf der O-Taste bis zur Schmerzgrenze. Die Sache wird komplizierter, indem es auch eine Blaunsteinerin gibt, die als erotische Interferenz auftritt, bis sie „beide aufhören miteinander zu schlafen bis an ihr glückliches Ende“.

Im Mittelteil erscheint die Welt als Hohlraum und Hohltraum.

„Von Mensch zu Mensch, Kamera läuft!“ (44)

Da kann man sich ausmalen, wie gespreizt, inszeniert und zur Versuchsanordnung degradiert es dabei zugeht. Ab und zu sind Presseartikel als Quelle angeführt, das ermöglicht es dem Leser zuzuschauen, was passiert, wenn man eine Zeitung nach der Lektüre nicht ordnungsgemäß wegschmeißt. Die Nachrichten mutieren nämlich, können sich in gefährliche Fakes und Viren verwandeln und letztlich Träume und Materialien aushöhlen wie Termiten. In diesem Kapitel wird alles Mögliche zu Rankings und Listen aufgeblasen, so gibt es etwa das „Weichtier des Jahres“. 2016 ist es in Deutschland die Erbsenmuschel, in Österreich die große Teichmuschel. (58)

Im dritten Teil schließlich wird alles zu einem Missverständnis. Jemand rudert, aber er rudert nur durch Wahrnehmungen. Mitten in der Arbeit erkennt einer, dass er am Rand der Gesellschaft arbeitet. Und das Ich sagt plötzlich: Ich notiere nicht, was ich notiere. Spätestens seit meiner Geburt lebe ich in der Zukunft, sagt die Blaunsteinerin darauf. Diese Missverständnisse brechen die Welt auf, jeder Satz könnte zur Gründung einer neuen Religion verwendet werden, das Erkenntnismaterial reicht aus, um ein Lichtjahr mit sinnigen Kalendersprüchen zu füllen.

Alles läuft vielleicht auf die schöne Formel hinaus: Interferenzen plus Hohlträume ergeben Missverständnisse. (a+b=c). Und dann hängt der Autor einfach noch einen Appendix an, da ist vielleicht alles drin, was bislang gefehlt hat, zum Beispiel die richtige Leseweise: SEL FIES. - Interfer ist folglich GRAND IOS!

Herbert J. Wimmer, Interfer. Blaunsteinerbuch
Wien: Sonderzahl Verlag 2017, 182 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-85449-480-5

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Herbert J. Wimmer
Wikipedia: Herbert J. Wimmer

 

Helmuth Schönauer, 13-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Herbert J. Wimmer

Buchtitel

Interfer - Blaunsteinerbuch

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

182

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85449-480-5

Kurzbiographie AutorIn

Herbert j. Wimmer, geb. 1951 in Melk, lebt in Wien.