Jean-Marc Ceci, Herr Origami

jena-mar ceci, herr origamiEin Roman gilt üblicherweise als Podium für Üppigkeit von Figuren und Ausstattung, Verknotung von Handlungen, Spiegelung von winkeligen Seelensträngen. Das Gegenteil müsste so etwas wie der Zen-Roman sein, ein Text voller Reduktion bis hin zur Auflösung jeglicher Konsistenz.

Jean-Marc Ceci hält wie ein Zen-Meister seine eigene Biographie klein bis zur Unscheinbarkeit. Er gibt nur zu, auf einer Universität zu unterrichten und in Südbelgien zu leben. Offensichtlich hat er sich die eigene Biographie von seinem Helden abgeschaut, der als Zwanzigjähriger aus Japan nach Italien fährt, um sich zu verlieben. Als Sechzigjähriger ist er dann Meister der Papierkunst und wird Herr Origami genannt. Seine Liebe ist in unzählige Papierfaltungen eingeflossen und verdunstet.

Herr Origami ist Fleisch gewordene Reduktion. Eine Kommission für immaterielles Welterbe versucht die vier kürzesten Begriffe der Welt ausfindig zu machen und zu würdigen. Sie stößt auf die Kapitel Washi, Origami, Zen und Ima, Diese Begriffe sind auch die Kapitel des Romans und begleiten den Helden durch sein Leben, das mit vier Kunstgriffen in der eigenen Vollkommenheit verschwindet.

Washi ist die Kunst des Papiermachens, Origami jene des Papierfaltens, Zen ist die konzentrierte Verdichtung, und Ima das Jetzt. Um diese Philosophie sind kurze Bewegungen und die Andeutung eines Lebenslaufs arrangiert. Der Roman dient als Plattform, um diese Positionen aufzustellen und den Helden darin reifen zu lassen. So heißt die Katze des Herrn Origami wie selbstverständlich Ima und ist vielleicht ein Stück aus Schrödingers Paradoxon, oder aber eine streichelweiche Bewegung, die die Gegenwart ins Fell massiert.

In der Story vom Papierfalter passiert nichts Spektakuläres, aber jeder Satz sitzt. Die Liebesgeschichte ist vielleicht eine Wunschvorstellung oder aber die Antimaterie zum Philosophieren. Und nichts ist zu fassen, selbst das Origami nicht, das ja nur eine Wölbung des Papiers ist.

Mit zwei Zeilen steht das ganze Geschäftsmodell:

Zwei Haufen. // Links die schönen Blätter. / Rechts die anderen. // Die schönen Blätter behält er. / Die anderen verkauft er. (45)

Manches wird karg wie ein Holzschnitt aus einem alpinen Mythos: Es gibt nur zwei Faltungen, die Tal-Falte, die Berg-Falte. Das ist auch die Kunst des Origami.
Und selbst die europäische Denkweise kommt mit der Zeit unter die Gedankenräder des japanischen Meisters: Entfalten Sie Ihre Uhr. Entfalten Sie die Linie der Zeit! (101)

Sinnsuchende Leser springen auf diesen Roman an wie von der Tarantel oder einer App gestochen. Jeder Satz speist Wohlbehagen, nichts ist überflüssig, aus jeder gepflügten Zeile ergibt sich ein Acker aus Sinn. Ein bisschen erinnert diese Heilsmagie an den Coelho, der es zumindest in den ersten Werken noch halbwegs ernst gemeint hat mit den schönen Sätzen. Und von der Melancholie her gesehen erinnert das Ganze auch an Rilkes „Cornet“, der letztlich auf einem einzigen Wort durch den Krieg seines Lebens reitet. Falten, falten, falten.

Jede Schönheit hat ihre Schattenseite! (140)

Jean-Marc Ceci, Herr Origami. Roman. A. d. Französ. von Claudia Kalscheuer. [Orig.: Monsieur Origami, Paris 2016]
Hamburg: Hoffmann und Campe 2017, 157 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-455-00151-8

 

Weiterführender Link:
Hoffmann und Campe Verlag: Jean-Marc Ceci, Herr Origami

 

Helmuth Schönauer, 15-01-2018

Bibliographie

AutorIn

Jean-Marc Ceci

Buchtitel

Herr Origami

Originaltitel

Monsieur Origami

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Hoffmann und Campe

Übersetzung

Claudia Kalscheuer

Seitenzahl

157

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-455-00151-8

Kurzbiographie AutorIn

Jean-Marc-Ceci, geb. 1977, lebt in Südbelgien.