Tanja Paar, Die Unversehrten

die unversehrtenNichts ist in der gegenwärtigen Gesellschaft so kompliziert, wie am völlig liberalisierten Hormonmarkt eine halbwegs strukturierte Familie unterzukriegen und sich dabei womöglich noch zu reproduzieren.

Tanja Paar entwickelt eine Kleinfamilie, die alles richtigmacht, zu einer Tragödie, die einen nicht mehr ruhig schlafen lässt. Die Unversehrten entsteigen nur äußerlich unbeschadet aus dem familiären Trümmerfeld, mit ihren Seelen sind sie allesamt dringende Fälle für die Psychiatrie.

Schon der Vorspann lässt nichts Gutes ahnen: jedes Mal, wenn das Kind ein Glas Wasser trinkt, schwimmt darin die Leiche eines Kindes. Violenta und Martin sind ein zukunftsfreudiges Studentenpaar, dem bald die Welt zu Füßen liegen wird. Sie studieren Fächer, nach denen das Business giert, und sie können sich aussuchen, wo sie ihre Wurzeln schlagen wollen. Doch aus einer emotionalen Ungelenkigkeit heraus bandelt Martin easy mit Klara an, diese nimmt die Sache wörtlich und wird schwanger. Das Kind Christina trennt und verbindet alles, denn über die ökonomische Hochzeit mit Klara hinaus bleibt die Verbindung zu Violenta aufrecht, auch wenn sie in alle Weltgegenden führt.

Und dann will auch Violenta ihr Kind, Martin lässt sich scheiden und es gibt einen kleinen Boy als Wunschkind. Das Patchwork-Ensemble schlägt sich durch den Dschungel des Familienlebens und versucht, irgendwie unversehrt aus dem Schlamassel herauszukommen. Obwohl letztlich alle ihre Wunschkinder und Karrieren bekommen haben, entlädt sich die Spannung bei einem Spaziergang: Das kleine Kind wird ins Wasser gestoßen und ertrinkt.

Jetzt kommt der Staatsanwalt ins Spiel und Klara muss ins Gefängnis. Und letztlich stellt sich heraus, dass alles noch einmal ganz anders gewesen ist, aber der hochbrisante Stoff darf hier nicht verraten werden.

Tanja Paar erzählt fünfzig kleine Sequenzen, die wie Polizeiprotokolle beschlagwortet sind: Das Geständnis, Die Trennung, Der Plan, Der Anruf. Der Erzählstandpunkt wechselt dabei, sodass alle Figuren gleiches Recht bekommen. Und obwohl sich alle bemühen und alles immer bestens wird, kommt es zur Katastrophe. Hinter den planbaren Lebensentwürfen steckt nämlich immer ein Restrisiko, das den klügsten Plan über den Haufen werfen kann.

Offensichtlich gibt es keinen richtigen Zeitpunkt für ein Kind, offensichtlich gibt es keinen Beruf, in dem man sich entfalten kann, wenn ständig Querschüsse in die Karriere kommen. Mann und Frau sind in dieser Tragödie gleichermaßen bedient. Und die Psychiatrie, das Heilmittel der Gesellschaft gegen alles, versagt, weil nur das Leben letztlich als Therapie begriffen wird und kein Platz mehr für das Leben ist.

Die Unversehrten sind ein Lehrstück dafür, wie eine gutgeplante Idylle in die Katastrophe kippen kann. Mit scharfen Erzählschnitten werden Psychen freigelegt, die beileibe nicht unversehrt sind. Schneidend, spannend.

Tanja Paar, Die Unversehrten. Roman
Innsbruck: Haymon Verlag 2018, 159 Seiten, 17,90 €, ISBN 978-3-7099-3416-6

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Tanja Paar, Die Unversehrten
Wikipedia: Tanja Paar

 

Helmuth Schönauer, 15-02-2018

Bibliographie

AutorIn

Tanja Paar

Buchtitel

Die Unversehrten

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

159

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7099-3416-6

Kurzbiographie AutorIn

Tanja Paar, geb. in 1970 Graz, lebt in Wien.