Irmgard Hierdeis / Peter Stöger: Als die Tomaten noch nach Tomaten schmeckten

irmgard hierdeis, als die tomaten noch nach tomaten schmecktenDie Melancholie ist gleich alt wie die Pädagogik, folglich geraten Pädagogen in zunehmendem Alter in die Melancholie.

Mit dem berührenden Seufzer „Als die Tomaten noch nach Tomaten schmeckten“ machen zwei gereifte Pädagogen einen Ausflug in ihre Kindheit, denn was immer man im Alter auch unternimmt und denkt, man landet in seiner eigenen Kindheit. In Anekdoten und kleinen Erzählungen kommen so die vierziger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zum Vorschein und schmecken intensiv, weil damals alles, nicht nur Tomaten, intensiv nach seiner selbst geschmeckt hat.

Beide Autoren haben als Kind ein Gefühl von kalt warm, Stadt Land, hiesig und dortig erlebt. Irmgard Hierdeis musste als Kind Böhmen verlassen und fand als geduldete Person eine Notunterkunft in Passau, wie Zuzugsschein und Flüchtlingsausweis bestätigen. Peter Stöger war die meiste Zeit in der Innsbrucker Haspingerstraße zu Hause, seine Gegenwelt war das kinds-idyllische Wald am Arlberg. Für beide waren die Erlebnisse in Echtzeit normal und originär, ein Kind denkt nämlich nie in Alternativen, sondern nimmt immer das in vollen Zügen, was da ist.

In der Pädagogik hingegen bleibt beim Kind meist das hängen, was ursprünglich gar nicht geplant gewesen ist. Wer erinnert sich nicht an jene Mathematikstunde, in der man das Wurzelwerk hätte lernen sollen, in Wirklichkeit aber nur mehr ein Gelächter im Ohr hat, weil es den Zirkel an der Tafel zerfetzt hat?

In diesem Licht von Zufälligkeit und Unschuld sind auch die dreißig Erzählungen zu lesen, die thematisch in einander greifen und nach alter Formulierung von Ereignissen erzählen, die man mit dem Zauberwort „als“ einleiten kann.

Als zu Weihnachten noch das Christkind kam / Als wir Flüchtlinge nach einer Unterkunft suchten / Als das Auge Gottes noch alles sah / Als wir noch Lehrer und keine Lernbegleiter hatten / Als die Briefmarken noch gezackte Bildchen waren.

Die Überschriften sind in didaktisch einwandfreier Manier als Merk-Pointen ausgeführt, die eine unerhörte Begebenheit darstellen. Die Episoden sind dabei mit Melancholie überlagert, dennoch ist die Gravur des Ereignisses klar zu sehen. Die Geschichten bleiben moralisch offen, alle Beteiligten haben recht, und es steht den Akteuren der Gegenwart frei, ob sie sich über etwas mokieren wollen, das in einem völlig anderen Zeitgeist entstanden ist.

Natürlich schmunzelt man über die Handschuhe des Bischofs, weil man eher daran denkt, wie er damit die Genitalien bearbeitet als sakrale Gegenstände berührt. In diesem Bedeutungs-Zwitter reißen die Erzählungen immer wieder eine Sub-Bedeutung auf, und so entsteht hinter den Tomaten ein Geschmack, der nicht mehr von der Tomatenwelt von heute ist.

Eine raffinierte Erzählform, mit der sich erlebte Kindheit und angesteuertes Alter ideal zusammenführen lassen.

Irmgard Hierdeis / Peter Stöger, Als die Tomaten noch nach Tomaten schmeckten. Erzählungen, Mit zahlreichen Fotographien
Innsbruck: Limbus Verlag 2018, 104 Seiten, 13,00 €, ISBN 978-3-99039-122-8

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Irmgard Hierdeis / Peter Stöger: Als die Tomaten noch nach Tomaten schmeckten
Literaturhaus am Inn: Irmgard Hierdeis

 

Helmuth Schönauer, 12-05-2018

Bibliographie

AutorIn

Irmgard Hierdeis / Peter Stöger

Buchtitel

Als die Tomaten noch nach Tomaten schmeckten

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Limbus Verlag

Illustration

Peter Stöger

Seitenzahl

104

Preis in EUR

13,00

ISBN

978-3-99039-122-8

Kurzbiographie AutorIn

Irmgard Hierdeis, geb. 1938 in Böhmisch-Kamnitz, lebt am Ammersee.

Peter Stöger, geb. 1946 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.