Konrad Rabensteiner, Der geköpfte Adler

konrad rabensteiner, der geköpfte adlerEine Chronik der Kindheit ist meist wie eine windstille Hängematte zwischen zwei Bäumen der Gelassenheit aufgeknüpft, einmal ist es der Stamm der Altersmilde, der jede Kindheit abgerundet erscheinen lässt, zum anderen der Pfosten der Kindheit selbst, die ja mangels an Vergleichen immer als die beste der Welt empfunden wird.

Konrad Rabensteiner schreibt im Roman „Der geköpfte Adler“ eine Kindheit im Villanders der frühen 1950er Jahre auf, gleich zu Beginn fällt die magische Zeitangabe „sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg“. Der Ich-Erzähler hat die Reife und Lebenserfahrung eines Erwachsenen, denn die Ereignisse werden zwar in einer zeitgenössischen Ergriffenheit geschildert, in Auswahl und Beurteilung aber aus der Sicht eines Alten.

Das merkt man etwa, wenn ein Kinderstreich erzählt wird, wonach der Held Steine in die frisch gewaschenen Unterhosen der Lehrerin gibt, was aber nichts bewirkt als reifes Lachen des Vaters und Verständnis der Lehrerin. Die Einschätzung des Streiches kommt hintennach, während dieser geschieht, hat er noch keine Geschichte. So geht es nämlich bei allen Ereignissen der Kindheit zu: In Echtzeit werden sie abgearbeitet, später werden sie in einen höheren Plan eingearbeitet.

Auf überschaubarem Raum wird das erzählende Ich mit der Welt vertraut gemacht. Die erste Erinnerung besteht aus Alpträumen, wenn wieder etwas in die Hose oder ins Bett gegangen ist. Die ersten hilfreichen Personen tauchen auf, Tante Barbara, die dem Bettnässer tagsüber aus der Misere hilft, in die er sich Nächtens eingenässt hat. Dann werden die Nächte bunter und plastischer, es gibt die absurdesten Träume, die alle in einem Festsaal enden, in dem Tag und Nacht das Leben aufgeführt wird.

Allmählich wird die Welt begreifbar, die Dorfgasse wird zur Erlebniszone, in der alle Personen, Handwerker und Bauern einmal am Tag auftauchen. Beim Ministrieren kommt der Erzähler mit der abenteuerlichen Welt des Pfarrers in Verbindung, erst später wird er merken, dass es nicht ungefährlich ist, wenn man als Knabe einer Kutte zu nahe kommt.

Schließlich kommt das Schulhaus als Abenteuerplatz hinzu, der Dachboden des Gasthauses wird entdeckt, wo der Adler liegt, der wegen der Faschisten abgenommen und geköpft werden hat müssen. Höhepunkt der Welt bleibt freilich ein Bühel, von dem aus man alles sieht, was man als heranwachsender Bub sehen muss. Und mit dem Eintritt in das Knabenseminar ist die Kindheit zu Ende.

Konrad Rabensteiner liefert mit seiner Chronik vor allem Ereignisse und Stoff und überlässt es dem Leser, dies alles historisch zu deuten. In der Nachkriegszeit werden die politischen Umstände klein gehalten, manchmal kommt einer aus dem Krieg zurück und kriegt einen Empfang, ein anderer nicht. Für den beobachtenden Erzähler ist alles gleich bedeutsam und eine aufregende Inszenierung. Die Welt ist genau so groß, wie man sie überblicken kann.

Der Reiz des Romans liegt darin, dass man als Leser automatisch seine eigene Welt- und Kindheitsperspektive hinzuliest, und so das beinahe paradiesische Nachkriegsleben persönlich nachschärfen kann. – Enge Welt, weite Kindheit.

Konrad Rabensteiner, Der geköpfte Adler. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2018, 381 Seiten, 24,90 €, ISBN 978-3-902866-61-5

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Konrad Rabensteiner, Der geköpfte Adler
Lexikon Literatur in Tirol: Konrad Rabensteiner

 

Helmuth Schönauer, 25-04-2018

Bibliographie

AutorIn

Konrad Rabensteiner

Buchtitel

Der geköpfte Adler

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

381

Preis in EUR

24,90

ISBN

978-3-902866-61-5

Kurzbiographie AutorIn

Konrad Rabensteiner, geb. 1940 in Villanders, lebt in Bozen.