Erika Wimmer Mazohl, Löwin auf einem Bein

erika wimmer, löwin auf einem beinEs gibt Romane, darin explodieren die Heldinnen mit eruptiven Gesten, und dann gibt es diese gereiften Abklärungsromane, die im Stile von Archivaren und Archäologen das Zeitlose am Leben halten.

Erika Wimmer Mazohl verbindet beides, das aufregend Historische der jüngeren Gegenwart mit dem Bedächtigen, das als Biographie entsteht, wenn das Leben nur lange genug dauert. Die Kunst ihres Romans beginnt schon damit, dass Personen und Ideen zusammengeführt werden, sie sich normalerweise aus dem Weg gehen. Das Figuren-Set ist scheinbar kompakt überschaubar und dient dazu, die komplexe Welt mit einem halbwegs stabilen Koordinatennetz zu überziehen.

Im Mittelpunkt einer „Lebensausgrabung“ steht Ariane, sie stammt aus Bozen und ist internationale Archäologin, die sich mit Hotspots wie dem Syrischen Palmyra auseinandersetzt. Ihr Mann Vittorio ist Exklusiv-Journalist, der als politischer Freelancer nur Themen mit entsprechendem Tiefgang behandelt. Ihre Tochter Katja versucht an der Kunstakademie in Rom Fuß zu fassen, aber in der Hauptsache kümmert sie sich um ihren Freund Roberto, der vielleicht ein Attentäter ist.

Die Kulturen der Vergangenheit stehen im täglichen Aufmerksamkeitskampf mit den Aufmüpfigkeiten der Gegenwart, der alltägliche Journalismus trifft auf das Wissen um die versteinerte Menschheitsgeschichte, die zerfällt, kaum dass sie ausgegraben ist. Die markanten Handbewegungen zu Archäologin, Journalist und Kunststudentin gleichen nur an der Oberfläche jenen Modeberufen, mit denen sich gut posieren lasst. Im Nachgang kümmern sich alle drei Denkweisen um den Sinn der Gesellschaft und die persönliche Frage, „wo soll es hingehen mit mir?“

In die Welterzählung von Staatskrise, Terrorismus, politischen Extremismus und Globalisierung ist die unspektakuläre Biographie der Ariane eingekapselt. Der Zwiespalt ist offensichtlich: Kann die Weltlage das persönliche Leben in irgendeine Richtung befördern, oder entstammt nicht doch die Weltlage einer unzulänglichen persönlichen Aufklärung.

Zu Beginn des Romans ist die Heldin damit beschäftigt, sich halbwegs in eine erträgliche Position zu bringen, Kleider werden gewechselt, Räume gelüftet, das Ambiente umsortiert und luftig gemacht, es zwickt an allen Körperstellen und passt noch nicht richtig. In diesem Zustand erinnert Ariane an eine Stipendiatin, die ein Literaturprojekt abwickeln soll, aber sich noch nicht zur ersten Seite aufraffen kann.

Dann scheint es ruckzuck zu gehen, die Tochter ist verschwunden und hat sich Gerüchtehalber nach Nepal abgesetzt. Ariane denkt an ihre eigene Reise vor dreiundzwanzig Jahren, als sie eine entlegene Kultur im Himalaya erforschen wollte und mit einem Kind im Bauch heimgekommen ist. Jetzt wird sie wie in Trance auf ihren alten Reisepfaden in die Vergangenheit gezogen, getreu dem Motto:

Veränderung ist das Ziel jeder Reise. (174)

In der Wiederholung der Reise vor fast einem Vierteljahrhundert erlebt Ariane den wahren Sinn. Die Gegenden haben sich im Zuge der Globalisierung wie überall verändert, aber der romantische Kern ist der gleiche geblieben. In den Ausgrabungen liegt die Struktur des Daseins. Der Heldin geht die eigene Familiengeschichte in Südtirol nicht mehr aus dem Kopf, wo es den wahren Satz über früh verstorbene Kinder gibt, dass diese im Grab von den später bestatteten Eltern erdrückt würden. Vielleicht hat sie ihr Kind schon zu Lebzeiten erdrückt, indem sie nie mit der ganzen Wahrheit herausgerückt ist. Ihr Vater nämlich ist ein berüchtigter Archäologie-Bumser, der während jeder Ausgrabung Affären gehabt hat. Auch Ariane ist diesem wortlosen Fachmann nicht entkommen.

In einem Zelt sind wir übereinander hergefallen und dann wieder auseinandergefallen. (261)

Mit einem Kind ist sie damals nach Europa zurückgeflogen, die Ausgrabungen sind auf schräge Art zu neuem Leben erwacht.

Allmählich bringt Ariane ihre ungeklärte Vergangenheit zu Ende. Der Kindsvater wird schlicht Hofstätter genannt wie das „Metzger-Label“ in einem Billigmarkt. Aus den alten Kulturen hat sie gelernt, dass sich das Böse durch Balance besiegen lässt. (236) Jetzt auf dem Weg zurück nach Europa bemerkt sie, dass sie insgesamt wenig zu Ende gebracht hat, außer der Sache im Zelt damals. (280)

Zuhause ist ihr Mann verschwunden, die Wohnung verwüstet, eine Blutspur führt aus dem Roman hinaus. Aber das ist eigentlich belanglos, schließlich gehört diese Szene zum Berufsbild eines investigativen Journalisten.

Erika Wimmer Mazohl gönnt ihrer Heldin letztlich jene Ruhe, die aus heftigem Ringen entsteht. Und auch die starken Metaphern müssen Federn lassen, die kämpfende Löwin steht im besten Fall balancierend auf einem Bein, im schlechteren Fall hat sie das zweite im Kampf verloren. – Eine verrückte Suche nach jenem Staub, der den Fund gnädig verdeckt.

Erika Wimmer Mazohl, Löwin auf einem Bein. Roman
Innsbruck: Limbus Verlag 2019, 315 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-99039-166-2

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag:
Wikipedia: Erika Wimmer-Mazohl

 

Helmuth Schönauer, 10-03-2020

Bibliographie

AutorIn

Erika Wimmer Mazohl

Buchtitel

Löwin auf einem Bein

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2019

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

315

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-99039-166-2

Kurzbiographie AutorIn

Erika Wimmer Mazohl, geb. 1957 in Bozen, lebt in Innsbruck.