Liviu Rebreanu, Der Wald der Gehenkten

liviu rebreanu, der wald der gehenktenAufsehenerregende Romane sind oft für eine einzige Szene bekannt. Diese ist an und für sich überschaubar, breitet sich dann aber über ein ganzes Jahrhundert aus.

Liviu Rebreanus „Der Wald der Gehenkten“ aus dem Jahre 1922 versucht aufs erste einmal Atem zu holen und das Desaster des Weltkriegs in halbwegs greifbaren Bildern darzustellen. Weltberühmt ist der Roman inzwischen wegen der Hinrichtung im ersten Kapitel. Das Besondere dieser Aktion am Rande der Geographie und des Kriegsgeschehens ist die groteske Hilflosigkeit, mit der die Beteiligten die Sache hinter sich bringen wollen, inklusive des Delinquenten, der nur einen Wusch hat, dass diese vermurkste Hinrichtung möglichst bald vorbei ein möge. Bei dieser speziellen Hinrichtung handelt es sich um eine österreichische Amtsaktion unter Kriegsbedingungen. Das ist so das Schlimmste, was man sich als Soldat, Beamter, Mensch oder Österreicher wünschen kann.

Vor dem Dorf sind in einem Wäldchen alle Utensilien für ein perfektes Henken angeschleppt, nur das Schemelchen fehlt noch, auf das der Delinquent steigen soll. Als ein General vom Bahnhof heraneilt, ist das Personal für eine standrechtliche Hinrichtung vollständig. Jemand hat ein Urteil mit, jemand segnet, jemand ist Delinquent, es gibt ein kurzes Geräusch, und dann wird der arme Kerl mehr erwürgt als gehängt, der Arzt schaut auf die Stoppuhr anstatt auf den Gehenkten und erklärt ihn für tot.

Was hier so als gequälte Freizeitübung gelangweilter Akteure dargeboten wird, ist ein kleiner Blutspritzer der Weltkriegstragödie. Alles ist überdimensioniert und lächerlich, die Protagonisten sind zufällig in die Bredouille gekommen, jeder hätte ein Überläufer sein können, jeder ein Standrechtshenker, alles ist zufällig und ausweglos.

Auf diese wie gespielte Hinrichtung zielt der ganze Roman ab, indem er am Beispiel des Leutnant Apostol Bologa aufzeigt, wie ausweglos Thema, Landkarte und Nationalität um die Protagonisten herumgewickelt sind. Im Spannungsfeld Österreich, Russland, Siebenbürgen, Rumänien, Ungarn wechseln die Fronten täglich, und Überläufer wird man in dieser Gegend nicht durch aktive Entscheidung, sondern durch Veränderung der Front. Du brauchst nur einen Tag zu lange in einer Gegend sein, schon bist du im Feindesland und als Überläufer hingerichtet.

Da diese läppisch einfältige Wahrheit niemand aushält, baut sich der Leutnant eine persönliche Schicksalsgeschichte hinzu, damit sein Leben wenigstens einen Grund hat, wenn es schon keinen Sinn hat, hingerichtet zu werden. Eine politisch motivierte Liebesgeschichte lässt ihn im inneren Monolog eines Expressionisten Enttäuschung, Verlobung, Löschung der Verlobung und Spontanliebe zur Tochter eines Totengräbers erleben. Im Liebesrausch packt er die Stellungsskizze seiner Batterie ein und geht durch den Wald der Gehenkten, die schaurig Tag und Nacht von den Bäumen baumeln. Er wird gestellt, als Überläufer markiert und redet sich selbst in die Schlinge, indem er sich nicht helfen lassen will. Er will ein ordentliches Schicksal in einer Welt des Desasters und wird am Schluss als Wiedergänger der Eingangssequenz hingerichtet.

Liviu Rebreanus Klassiker gilt als erster literarischer Andockversuch, womit sich die zerstäubten Helden der Habsburgmonarchie nach dem Weltkrieg auf eine Art gemeinsamer Erzählung einigen konnten. Indem der Liebeskummer als privater Kriegsgrund vorgeschoben wird, lässt sich hinter dieser Metapher die Diskussion über die Nationalismen in vagen Gedankengängen über die Fronten hinausführen. Frieden müssen andere bringen, wir können nur den Krieg, sagen die Offiziere immer wieder.

Hundert Jahre später zeigt dieser Anti-Weltkriegsroman die Schwierigkeiten, nach einem Krieg wieder zusammenzufinden in den neuen Staaten. Der Wald der Gehenkten lässt sich auf viele Gegenden der Ex-Monarchie übertragen, wo ganze Gebiete feststellen müssen, dass jemand mit ihnen einen Frontwechsel durchexerziert hat.

Was jeden höfischen Österreicher und somit Bürokraten nach wie vor besticht, ist diese schlamperte Verwaltung des Hofratswesens. Vurschrift ist Vurschrift, und eine Hinrichtung ist gar nicht so schlimm, wenn man vorher das passende Getränk zu sich nimmt. Zwischen Hinrichtern und Hingerichteten besteht kein Unterschied, sie alle haben schmutzige Beine, wenn sie im Letten des Galgens herumstehen.

Liviu Rebreanu, Der Wald der Gehenkten. Roman, a. d. Rumän. von Georg Aescht [Orig.: Padurea Spinzuratilor, 1922]. Mit einem Nachwort von Ernest Wichner
Wien: Zsolnay Verlag 2018, 350 Seiten, 26,80 €, ISBN 978-3-552-05903-0

 

Weiterführende Links:
Zsolnay Verlag: Liviu Rebreanu, Der Wald der Gehenkten
Wikipedia: Liviu Rebreanu

 

Helmuth Schönauer, 08-09-2018

Bibliographie

AutorIn

Liviu Rebreanu

Buchtitel

Der Wald der Gehenkten

Originaltitel

Padurea Spinzuratilor

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Zsolnay Verlag

Übersetzung

Georg Aescht

Seitenzahl

350

Preis in EUR

26,80

ISBN

978-3-552-05903-0

Kurzbiographie AutorIn

Liviu Rebreanu, geb. 1885 in Tarlisua, starb 1944 in Valea Mare.