Dennis Cooper, Mein loser Faden

dennis cooper, mein loser fadenDie größte denkbare Kluft tut sich nicht zwischen diversen Kulturen auf, sondern zwischen der Welt der Jugendlichen und Erwachsenen. Das hat neben pädagogischen Konsequenzen auch zur Folge, dass es kaum Brücken in der Literatur gibt, diesen Gap zu überwinden. Denn die Autoren schreiben selten das, was Jugendliche betrifft, und die Jugendlichen haben keinen Bock auf die Entschleunigungsliteratur der Erwachsenen.

Dennis Cooper greift ein Thema auf, das sich nur vage von außen beschreiben lässt. Und es liegt die Vermutung nahe, dass auch die jugendlichen Heroen selbst nicht wissen, was in ihrem Innern los ist. „Mein loser Faden“ deutet auf die Konsistenz eines Helden hin, der nur vage einen Faden hat, an dem er sich entlang denkt. Und auch die Bedeutung „loser“ als Verlierer liegt auf der Hand.

Erzählt wird in schnellen Schnitten von den Ritualen einer Gang, die zwischen Schule und Rechtsextremismus ihr Unwesen treibt. Allmählich kristallisiert sich ein Ich-Erzähler heraus, der jeglichen Sinn für Realität verloren hat und zwischen Vorstellung, Ahnung und Fakt nicht mehr unterscheiden kann, seit er bei einer Schlägerei einen Freund umgebracht hat. Andere sagen, dieser sei an der eigenen Schwulness verstorben, andere reden von Suizid. Eine zentrale Figur ist das Mädchen Jude, das diffuse sexuelle Verhältnisse pflegt und so die herumschwirrenden Hormon-Drohnen auf Äquidistanz hält.

Der Gral der ganzen Gruppe ist ein Notizbuch, das einer geschrieben hat, weshalb er dafür umgebracht werden soll. In diesem altertümlichen Notizbuch stehen nicht nur krude Ideologien oder groteske Tagesabläufe, das Buch ist deshalb so gefährlich, weil alles über die anderen drinsteht. In der Pubertät sind die wichtigsten Daten immer jene, die über das Selbstwertgefühl, die Erscheinung und die Wirkung bei Mädchen Auskunft geben. In diesem Buch lesen die Freunde der Reihe nach und ziehen seltsame Schlüsse daraus, nämlich dass es keine Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung gibt.

Erzähltechnisch taucht immer wieder die Fügung auf:

Das kostete mich eine Sekunde. (120)

Diese Fügung erklärt ähnlich wie bei einem Download, dass der Kopf gerade etwas verarbeiten will, was jemand in der Umgebung gesagt hat. Aus dieser Sekunde resultieren noch keine Handlungen, es genügt, dass die Sätze gesagt worden sind. Und Sätze gibt es jede Menge, die das Zeug zu einer Ideologie oder zumindest zu einer Inschrift haben.

Vielleicht werde ich, wenn ich tot bin, einen Sinn ergeben. (120)

Im letzten Absatz schreitet der Bandenführer als Einzelgänger zur Tat. „Gilman schießt vor sich her.“ (147) Es folgt ein Auftritt, wie wir ihn aus den Schulmassakern immer wieder übermittelt bekommen. In einem Zwischenreich aus Wahn und Krieg, Kampf und Meditation, Chaos und Plan sticht der Privat-Gunner durch die Masse seiner Schulkollegen. Mit logischen Mitteln ist diesem Abschnitt nicht beizukommen, er erzählt etwas nicht mehr von dieser Welt.

Dennis Cooper hat natürlich keine Gewissheit, ob die Kids in Wirklichkeit ähnlich ticken wie seine Helden. Aber zumindest geht dadurch ein Fenster auf, durch das man sich Sätze zuschreien kann. Denn eine geordnete Kommunikation scheint nicht möglich zu sein, dazu fehlt es allen Beteiligten am Wirklichkeitssinn, denn sie sagen alle die Wahrheit und die Wirklichkeit ist eine Lüge.

Dennis Cooper, Mein loser Faden. Roman, a. d. Amerikan. von Raimund Varga [Orig.: My Loose Thread, Edinburgh 2002]
Wien: Luftschacht Verlag 2018, 147 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-903081-23-9

 

Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Dennis Cooper, Mein loser Faden
Wikipedia: Dennis Cooper

 

Helmuth Schönauer, 16-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Dennis Cooper

Buchtitel

Mein loser Faden

Originaltitel

My Loose Thread

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Luftschacht Verlag

Übersetzung

Raimund Varga

Seitenzahl

147

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-903081-23-9

Kurzbiographie AutorIn

Dennis Cooper, geb.1953 in Kalfornien, lebt in Paris und Los Angeles.

Raimund Varga, geb. 1970 in Wien, lebt in Wien.