Siegfried Hetz (Hg.), Wo Dollfuß baden ging

siegfried hetz, wo dollfuß baden gingGeschichte wird oft mit einem Schachspiel verglichen, bei dem die Regeln erst hintennach erkennbar sind. Das menschliche Spiel wird dabei aufgezeichnet als Helden-, Ideen- oder Ortsgeschichte. Je nachdem, aus welchem Beobachtungswinkel man die Geschichte betrachtet, entstehen mehr oder weniger nützliche Anekdoten für den wirtschaftlichen Gebrauch.

Als Überraschungsgeschichte gilt jeweils das Zusammentreffen von Orten mit Helden. Dabei ist nicht klar, ob die Person nun den Ort adelt oder der Ort den Helden. Wenn du als Ort Pech hast, kriegst du statt eines gefeierten Stars ein Arschloch in die Annalen gesetzt. Von der Inntaler Gemeinde Braunau her kennen wir das ewige Jammern, der Ort wäre so schön, wenn er nicht diesen braunen Flecken hätte.

Nun rennt jeder Ort den Genies nach und liegt ihnen zu Füßen. Manchmal ist dieses devote Verhalten freilich kontraproduktiv, wenn die gefeierte Person später in gesellschaftliche Ungnade fällt.

Der idyllische Ort Mattsee spielt in der Zwischenkriegszeit eine historische Rolle, weil darin allerhand öffentliche Personen die Sommerfrische aufschlagen. An der Nahtstelle zwischen touristisch devotem Verhalten und urban-progressivem Experiment treffen hier oft gesellschaftliche Strömungen zusammen, die meist den anstehenden Zeitgeist vorwegnehmen. So ist Arnold Schönberg kurz nach dem Ersten Weltkrieg gern gesehener Gast in Mattsee, obwohl man mit seiner Musik nicht viel anfangen kann. Als dann der Antisemitismus im Land Fuß fasst, wird Schönberg unverblümt aufgefordert, den Ort mit dem wärmsten Seebad der Alpen zu meiden und ihn nicht weiterhin mit seiner Anwesenheit zu verschandeln.

Die vaterländischen Marschierer haben inzwischen den Ort als sommerfrischelndes Refugium entdeckt und politisch salonfähig gemacht. So kommt auch Dollfuß, dem ein Besuch beim italienischen Duce bevorsteht, spontan nach Mattsee, um in einem Crash-Kurs das Schwimmen zu lernen. Er will nicht noch einmal in voller Uniform neben dem aufgeblasenen Duce stehen, der ins Wasser springt und Dollfuß auslacht, weil dieser nicht aus der Uniform herausfindet.

Auch das Ehepaar Seyß-Inquart plantscht ab den Zwanziger Jahren verlässlich am Mattsee, ehe „der Seyß“ dann frisch ausgeruht und relaxed als Reichsstatthalter reüssiert.

Nach dem Krieg macht der Ort noch einmal Furore, als der ungarische Faschistenführer Ferenc Szalasi samt Stephanskrone durch Europa flüchtet und in Mattsee absteigt.

Nicht als konkreter Ort aber als verfilzende Kulisse taucht die Gegend in George Saikos Roman „Der Mann im Schilf“ auf, worin sich die Protagonisten vor der Zeitgeschichte im Schilf des nahen Sees verstecken.

Die Literatur der Gegenwart geht mittlerweile eine starke Symbiose mit dem Tourismus ein, gefördert wird alles, was eine Nächtigung bringt. Ähnliches geschieht in der Geschichtsschreibung, wo durch den Abstieg von Persönlichkeiten in einer Lokalität die Touristen animiert werden, es ähnlich zu machen. Vielleicht findet sich noch das Bett, worin so ein historischer Körper geschlafen hat.

Neben dem touristischen Aspekt dient das Bade-Buch über Dollfuß wohl auch der einheimischen Bevölkerung, dass sie durch Erinnern jene Gegend adelt, die sie dem Tourismus hemmungslos aussetzt.

Siegfried Hetz (Hg.), Wo Dollfuß baden ging. Mattsee erinnert sich: Schönberg. Seyß-Inquart. Stephanskrone. Fotos. Mit Beiträgen von Roland Peter Kerschbaum, Therese Muxeneder und Berta Altendorfer.
Salzburg: Verlag Anton Pustet 2018, 181 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-7025-0890-6

 

Weiterführender Link:
Verlag Anton Pustet: Siegfried Hetz (Hg.): Wo Dollfuß baden ging.

 

Helmuth Schönauer, 13-11-2018

Bibliographie

AutorIn

Roland Peter Kerschbaum / Therese Muxeneder / Berta Altendorfer

Buchtitel

Wo Dollfuß baden ging. Mattsee erinnert sich: Schönberg. Seyß-Inquart. Stephanskrone

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Anton pustet Verlag

Herausgeber

Siegfried Hetz

Seitenzahl

181

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-7025-0890-6

Kurzbiographie AutorIn

Siegfried Hetz, geb. 1954 in Piesendorf, ist Kulturpublizist.