Gerhard Henschel, Erfolgsroman

gerhard henschel, erfolgsromanDie größte Frage, die einen denkenden Menschen bewegt, lautet in etwa: Wie liegt meine mickrige Biographie in der Geschichte? Tatsächlich wird man im Laufe des eigenen Lebens unsicher, was nur für einen selbst interessant ist und was für eine größere Allgemeinheit.

Gerhard Henschel stellt sich dieser Frage mit seinem Giga-Projekt diverser Gattungs-Romane. Mittlerweile gehört es schon zum nützlichen Besteck des Reflektierens, dass man sich alle zwei Jahre den neuesten Henschel holt, um ein Stück unmittelbarer Zeitgeschichte durchzugehen und dabei das eigene Leben zu verorten.

Der aktuelle Roman nennt sich kurz und bündig „Erfolgsroman“ und bearbeitet die Zeit rund um 1990. Der Icherzähler Martin Schlosser schlägt ein neues Kapitel seines Lebens auf. Er nennt es frech „Erfolgsroman“, weil er erstmals siebzig DM in die Künstlersozialversicherung einzahlt hat und das als den Durchbruch empfindet. Die Bezeichnung „Erfolg“ scheint aber eher auf etwas hinzuweisen, was einfach erfolgt, und meint weniger das Geld oder die generelle Anerkennung. Allein ein simpler Abrechnungszettel für die Steuerberaterin weist für 1990 dreizehntausend und für 1991 knapp zwanzigtausend DM an Einkommen aus.

Überhaupt zieht sich der Drang nach Kohle als roter Faden durch diesen Lebensabschnitt, bereits die Getränkekosten für Silvester zeigen am Suffzettel satte Ausgaben für das neue Jahr. (170) Dafür muss der Held von Eduscho auf Caro umsteigen, weil er sich den vollen Kaffee unterm Tag nicht mehr leisten kann.

Es sind diese Milchmädchenrechnungen, die zeigen, wie verloren der Held in der üppig konsumierenden Gesellschaft dahinschlingert. Dabei zeigt ihm sein Opa, der angefressen seinen letzten Lebensabschnitt in der Provinzstadt Meppen abwickelt, dass man auch ohne Kohle frech sein und ziemlich danebenliegen kann mit allem.

Literarisch gesehen spielt sich alles im Satiremagazin Kowalski ab. Dabei ist der Aufwand rund um einen Text weitaus größer, als es der mickrige Text dann vermuten lässt. Es geht um Recherchen, Pläne, Vorschläge, alles frisst Kohle, und am Schluss werden die Texte dann doch nicht gebraucht.

Diese Kowalski-Epoche bestärkt freilich das Selbstwertgefühl und außerdem erklärt Kowalski alles, was man gerade liest, bespricht oder in die Debatte wirft. Es geht also nicht um das selbstbestimmte Leben eines Schriftstellers, sondern um Handlungen, die zu einem Artikel im Satiremagazin führen könnten. Das Leben ist nicht nur Schein, sondern Anschein einer Satire.

Auch in der Liebe ist die Literarizität das Maß aller Dinge. Zwischen dem Helden und der Regensburger Studentin Kathrin Passig tut sich eine lose, leichte Freundschaft auf, welche die beiden fallweise bei Exkursionen in literarisierte Städte führt, die dann etwa anhand einer Antiquariatsliste abgearbeitet werden.

Martin Schlosser ist durchaus angetan von Kathrin.

Ihre Bibliothek war wohlsortiert. Ich weidete mich am Anblick der Bücherrücken: In dieser Wohnung hätte ich mich auch ohne die Gastgeberin nicht gelangweilt. (307)

Zur damaligen Zeit wird alles noch in Karten und Briefen mitgeteilt, was den Vorteil hat, dass sich die aktuellen Gefühle wie von selbst in die Geschichtsschreibung einnisten, man braucht nur die entsprechenden Texte im Tagebuch abzubuchen.

Die Schreibmethode, das Akquirieren von Aufträgen, das Betteln um Zuneigung, die gierige Presseschau beschäftigen den Helden außerordentlich. Allein die Umstellung des Briefverkehrs von alphabetisch nach Personen auf chronologisch nach Einläufen nimmt Tage in Anspruch. Das ändert sich auch nicht, als Martin Schlosser nach Berlin zieht. Jetzt kommt zum Aufreißen von Aufträgen auch noch die Besichtigung von Wohnungen hinzu, deren Mitpreise bereits ein Jahr nach dem Mauerfall in kapitalistischer Weise explodieren.

Wer im Literaturbetrieb erfolgreich sein will, muss sich mit den richtigen Leuten und Büchern umgeben. Der Held pirscht sich an Trendsetter wie Max Goldt heran, denn nirgendwo ist die Vetternwirtschaft so wichtig wie in der Literatur.

Das gilt auch für die Lektüre. Wer erfolgreich ist, kann es sich nicht mehr leisten, nach seinen Interessen zu lesen. Er muss nehmen, was ihm die Bestseller-Listen vorschlagen. So beiläufig erfährt der Leser wieder von den scheinbar wichtigen Büchern der damaligen Zeit. Wer erinnert sich noch an Klaus Theweleits „Objektwahl“?

So kümmern sich die Rezensionen naturgemäß nicht um den Inhalt, sondern um den Marktwert. Was wird ein Guru dazu sagen, kann ich mir eine eigene Meinung leisten, ohne dass ich selbst aus dem Markt falle?

In Gesprächen mit Getränken darf dann in angeheiterter Stimmung ein bisschen echtes Gefühl und echte Meinung geäußert werden. Endlich kann man Arno Schmidt mit einem geilen Zitat erwähnen, ohne dass man gleich von Literaturagenten zusammengestutzt wird. „Er begattete sie auf altfränkische gottvergessene Methode; mit der er natürlich bald ne halbe Stunde brauchte.“ (286)

Erfolgsroman ist vor allem zynisch zu lesen. Im Jahr 1990 brechen die beiden Deutschland zusammen und die hohlen Phrasen beider Regime gehen im Staub des scheinbaren Aufbruchs auf. Der Schriftsteller steht sehend als Chronist in diesen Worttrümmern und muss zur Kenntnis nehmen, dass sich der Literaturbetrieb ungut in Richtung Kapital entwickelt.

Gerhard Henschels Nachschlage-Romane sind für Zeitgenossen oft kaum zu ertragen, so plastisch sind sie, denn keine Nuance des Alltags wird ausgelassen. Für Angehörige der Nuller-Generation sind diese Romane eine skurrile Lebensart, wie sie die Großväter jenseits aller Digitalisierung mit viel Betulichkeit und Sinnlosigkeit zelebriert haben. - Unverzichtbar!

Gerhard Henschel, Erfolgsroman
Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2018, 601 Seiten, 26,80 €, ISBN 978-3-455-00377-2

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe Verlag: Gerhard Henschel, Erfolgsroman
Wikipedia: Gerhard Henschel

 

Helmuth Schönauer, 02-12-2018

Bibliographie

AutorIn

Gerhard Henschel

Buchtitel

Erfolgsroman

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Seitenzahl

601

Preis in EUR

26,80

ISBN

978-3-455-00377-2

Kurzbiographie AutorIn

Gerhard Henschel, geb. 1962 in Hannover, lebt in der Nähe von Berlin.