Lynn Margulis, Der symbiotische Planet

lynn margulis, der symbotische planet„Dieses Buch handelt vom Leben auf unserem Planeten, seiner Evolution und davon, wie sich unsere Ansichten dazu gewandelt haben. Wenn ich ihm einen Untertitel geben sollte, dann wäre es die Forschung, und zwar insbesondere die naturwissenschaftliche Forschung, mit ihren zahlreichen Wendemanövern und festen Regeln, die sie voranbringen oder hemmen können.“ (S. 9)

In „Der symbiotische Planet“ vermittelt die amerikanische Biologin Lynn Margulis einem breiten Publikum ihre neue Sicht der Evolution des Lebens, die sie als Wechselwirkung und Symbiose verschiedener Organismen versteht. Das Zusammenspiel der unterschiedlichsten Organismen für die permanente Weiterentwicklung des Lebens auf der Erde führt sie in ihrer „seriellen Endosymbiontheorie“ (SET) aus.

Die Ursprünge des Lebens gehen auf die kleinsten Lebensformen zurück, den Bakterien. Der Mensch geht somit auf die Milliarden Jahre währende „Wechselwirkung zwischen höchst reaktionsfähigen Mikroben“ (S. 11) zurück. Bei der sukzessiven Weiterentwicklung des Lebens haben Pflanzen- und Tierzellen dauerhaft Bakterien aufgenommen und damit neue Aufgaben erfüllt und Möglichkeiten geschaffen. Üblicher Weise wurden Verbindungen mit Mikroben als Krankheit und nicht als neue Art verstanden und Evolution als Anhäufung von Mutationen einzelner Gene über lange Zeiträume hinweg.

Bei der Symbiose wird zwischen Exosymbiose unterschieden, bei der unterschiedliche Organismen wie Pflanzen und Pilze eine lebenswichtige Verbindung eingehen und Endosymbiose, bei der die Verbindung innerhalb eines Organismus erfolgt, wenn sich also zwei Bakterien zu einem Lebewesen verbinden, für das sich zusätzliche Möglichkeiten eröffnen.

Die SET formuliert die Verschmelzung von Zellen mit unterschiedlicher Vergangenheit und unterschiedlichen Fähigkeiten, die sich durch unterschiedliche Symbiose zu den Pilzen, Pflanzen und Tieren entwickeln konnten. Die Sexualität entwickelt sich erst nach der Endosymbiose und der Entstehung sauerstoffverarbeitender, kernhaltiger Zellen. Während bei der Sexualität die Verschmelzung der engverwandten Zellen aber unumkehrbar ist, besteht sie bei der Endosymbiose, wo Zellen nur entfernt verwandt sind, nur auf Dauer.

Auf die Entwicklung des Lebens auf die gesamte Erde bezogen, formuliert die sogenannten „Gaia-Theorie“ die These, das die Erde „im biologischen Sinn einen Körper“ (151) hat, der durch komplizierte Wechselwirkungen zwischen allen Lebewesen in Gang gehalten wird. Das Leben wird verstanden als permanente Aufnahme von Energie und Abgabe von Wärme und nutzlosen Abfällen, die anderen Lebewesen wieder als Nahrung dienen können.

Gaia ist die Summe interagierender Ökosysteme, die auf der Erdoberfläche ein einziges gewaltiges Ökosystem bilden. Mehr nicht. (S. 159)

Letztendlich vertritt Lynn Margulis die These, dass sowohl die Zellorgane von Tieren und Pflanzen als auch der Zellkern und die Strukturen der Zellteilung sich in vergangenen Zeiten evolutionär aus Bakterien entwickelt haben und selbst einmal frei lebende Bakterien gewesen sind.

Lynn Margulis‘, „Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief“ ist ein leidenschaftliches Vermächtnis einer großen Forscherin, in dem auch der schwierige Kampf zum Ausdruck kommt, neue Ideen in einem fest strukturierten Wissenschaftsbetrieb einzubringen. Damit verbindet Margulis auf lebendige Weise persönliche Erfahrungen, Wissenschaftsgeschichte und komplexe theoretische Ausführungen zu einem spannend zu lesenden Sachbuch.

Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch, in dem ein neuer Ansatz und Erklärungsversuch zur Evolution des Lebens ebenso engagiert wie verständlich für ein breites Lesepublikum vermittelt wird.

Lynn Margulis, Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief. Übers. v. Sebastian Vogel [Orig. Titel: Symbiotic Planet]
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2021, 208 Seiten, 12,40 €, ISBN 978-3-86489-907-2

 

Weiterführende Links:
Westend Verlag: Lynn Margulis, Der symbiotische Planet
Wikipedia: Lynn Margulis

 

Andreas Markt-Huter, 22-03-2022

Bibliographie

AutorIn

Lynn Margulis

Buchtitel

Der symbiotische Planet oder Wie die Evolution wirklich verlief

Originaltitel

Symbiotic Planet

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Westend Verlag

Übersetzung

Sebastian Vogel

Seitenzahl

208

Preis in EUR

12,40

ISBN

978-3-86489-907-2

Kurzbiographie AutorIn

Lynn Margulis war Professorin für Biologie an der University of Massachusetts in Amherst und Co-Direktorin des Planetary Biology Internship der NASA. Sie gehörte viele Jahre der National Academy of Sciences der USA an und hat zahlreiche wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten. Sie ist 2011 verstorben.