Andrej Platonow, Der makedonische Offizier

andrej platonow, der makedonische offizierDie Erde entwickelt sich entweder zu einem reinen Kristall, der Wasser spendet, oder der Erdball verliert sich in einer giftigen Blase.

Andrej Platonows Kernsatz über die Entwicklung der Sowjetunion wird in den 1930er Jahren unter Stalin nicht gerade mit Wonne aufgenommen. Der Autor wird sofort geächtet, verliert seine Wohnung und Zulassung als Schriftsteller. In seinem Brotberuf als Bewässerungsingenieur hat er täglich mit Verhaftung zu rechnen. Und als er selbst schon fertiggemacht ist, geht die Verfolgung auf seinen Sohn über, der daran stirbt.

„Der makedonische Offizier“ ist ein Fragment eines Fertiggemachten. Die Handlung ist nach Asien transferiert und um Jahrtausende zurückdatiert auf irgendwas mit 300 v. Chr., wo der Ingenieur Firs im Auftrag des Makedoniers Alexanders des Großen Bewässerungspläne ausarbeiten soll. Durch einen Fehler bei der Chiffrierung des Projekts lässt sich da ein Eroberungsfeldzug herauslesen, sodass sämtliche am Projekt Beteiligten plötzlich in höchste Gefahr geraten. Denn Bewässerung ist Krieg!

Diese Botschaft des Fragments wird in der Sowjetunion als Klartext verstanden, wiewohl sie der Autor als Fiktion und pure Literatur hinstellt. Das Muster „makedonischer Offizier“ wird als Gegenwartsliteratur gelesen, so wie unsereins heute den Text als Kritik an der stalinistischen Politik, aber auch als Vision für den Klimawandel liest. Das goldene Zeitalter der Schwerindustrie und Totalbewässerung zeigt sich nämlich auch als Vernichtungssystem gegen die Erde, aber freilich hat die Vernichtung des einzelnen Menschen Vorrang.

Der antikisierte Ingenieur legt sich mit dem örtlichen Statthalter an, der ein Vorfahre Stalins ist. Dieser befiehlt Wasser, und wer es nicht zum Sprudeln bringt, wird hingerichtet. Der Ton der Diktatur ist durch die Jahrtausende der gleiche: „Du Staub, der sein Grab vergessen hat!“ (29) So wird dem Untertan klargemacht, aus welchem Material er besteht.

Der etwa dreißig Seiten lange Text erweist sich als Sprengstoff, wo immer er gelesen wird. Die aktuelle Ausgabe „erzählt“ daher auch das zeitgenössische Drumherum, indem Notizen und themenverwandte Texte des Autors ebenso abgedruckt sind wie ein irres Protokoll einer Schriftstellersitzung, in der Stalins Befehl zur literarischen Vernichtung vollzogen wird.

Wenn man als Schriftsteller einmal von der Gesellschaft in eine Schublade gesteckt worden ist, kann man schreiben, was man will, man wird diese Lade erst verlassen, wenn man in den Sarg hinüberwechselt.

So passt eine Erzählung Platonows, in der er den berühmten, aber todkranken Gorki in dessen Wohnung trifft, gut zur Schreibsituation rund um den makedonischen Offizier. Gorki empfängt ihn mit einer Lebensweisheit: Er habe eine Wohnung mit Einwegschloss, man komme zwar in sie hinein, aber nie mehr heraus. (49) Dem Erzähler gelingt es zumindest literarisch, aus dem Gorki-Kosmos herauszukommen, indem er diesem einfach recht gibt, als er davon schwärmt, dass man Abweichler bestrafen müsse.

Noch heftiger werden Abweichler im Protokoll des Schriftstellerverbandes bekämpft, als dieser einen Befehl Stalins exekutiert und Platonow als Persona non grata tituliert. Die Funktionäre erklären die Literatur für verfallen, weil der Beschuldigte auf den Stil statt auf die Weltanschauung geachtet habe. Außerdem sei er mit seiner Schreibe „nach rechts“ abgedriftet, obwohl er doch von der Herkunft ein lupenreiner Proletarier sei. Die Sitzung endet unerwartet optimistisch, der Delinquent darf in drei Wochen noch einmal sein Werk vortragen. Offensichtlich ahnen die Kollegen, dass sie in drei Wochen selbst denunziert und verboten sein könnten, so geben sich alle eine Gnadenfrist.

Im Nachwort berichtet der Übersetzer Michael Leetz vom weiteren Schicksal des Platonow, das sich mit dem Satz zusammenfassen lässt, er wurde stillgelegt und vergessen. Erst seit den 1980er Jahren kümmert man sich um die Wiederentdeckung.

„Der makedonische Offizier“ ist ein geniales Werk der Vernichtung und Verdrängung. Kaum erfreut man sich an einem literarischen Satz, gerät man beim Lesen der Notizen und Begleitumstände in Aufruhr, weil es sich um „echte“ Realität handelt, nicht um erzählte.

Ob man das Fragment als historisches Dokument, als Vision vom Untergang der Welt oder als raffinierten Trick mit der Vergangenheit liest, die Lektüre franst stets in Niedergeschlagenheit aus.

Bewährte Übungen, die gelesene Literatur in sein eigenes „Lektodrom“ überzuführen, ergeben überraschende Befunde. So kann der „Hinrichtungskongress“ der Kollegen durchaus mit den Augen eines Bachmannpreis-Teilnehmers gesehen werden. Zum einen sagt man Schauprozess, zum anderen Show.

Wenn man schließlich zum Markt Stalin sagt, so stecken im gegenwärtigen Literaturbetrieb mehr stalinistische Züge, als man beim ersten Durchblättern der jeweiligen Herbst- und Frühjahrskataloge zu fürchten wagt.

Andrej Platonow, Der makedonische Offizier. Prosa. A. d. Russ und mit einem Nachwort von Michael Leetz [Original entstanden zwischen 1932 und 1936]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2021, 155 Seiten, 24,70 €, ISBN 978-3-518-43026-2

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Andrej Platonow: Der makedonische Offizier
Wikipedia: Andrei Platonowitsch Platonow

 

Helmuth Schönauer, 30-12-2021

Bibliographie

AutorIn

Andrej Platonow

Buchtitel

Der makedonische Offizier

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

155

Preis in EUR

24,70

ISBN

978-3-518-43026-2

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Platonow, geb. 1899 in Woronesch, starb 1951 in Moskau.
Michael Leetz, geb. 1972 in Berlin, lebt in Berlin.