Christo Karastojanow, Teufelszwirn

Der Teufelszwirn ist eine fadenförmige Schmarotzerpflanze ohne Blätter und Wurzel, die ganze Kleefelder oder Kartoffeläcker aushungert und vertilgt.

Christo Karastojanow stellt seine Trilogie über die politischen Geschehnisse im Bulgarien der frühen 1920er Jahre unter den Schutz dieser höllischen Pflanze, die in ihrem Habitus perfekt an ein schmarotzendes politisches System erinnert, das sich über das Volk her macht. Als es nach dem ersten Weltkrieg so halbwegs wieder geordnet zugeht, stürzt die Ermordung des Premiers Stamboliski 1923 Bulgarien bis in die entlegenste Provinz ins Chaos.

In dieser Provinz um Jambol herum spielt auch die Trilogie, die aus den drei Provinzromanen Perpetuum mobile (11), Teufelszwirn (233) und Verworrene Chronik (413) zusammengefügt ist.

Dem politischen Chaos passt sich der Autor mit einem sogenannten Soff-Chaos an. Die einzelnen Erzähl-Teile werden ohne Ranking auf gleicher Relevanz-Stufe erzählt, so dass eine ungünstige Hochzeit, ein Überfall im Stadtpark oder ein ausbrechender Bäckerstreik vorläufig als gleich wichtige Wahrnehmungen dokumentiert werden. Den Kapiteln vorangestellt ist oft eine Boulevard-Aufmachung der Themen, dabei werden Schlagzeilen reißerisch verfasst und oft auch groteske Nebentöne zur Story aufgeblasen.

Ein Minister kommt zu Besuch und erledigt seinen Auftritt in belangloser Manier, was nicht ins Konzept passt, wird verleugnet, was nicht mehr zu vertuschen ist kommt in kleinen Portionen zum Vorschein. Als eine sogenannte Räuberbande ihr Unwesen treibt, wird zuerst ignoriert, dann dämonisiert und schließlich massakriert, die Staatsorgane haben jegliches Maß für das gelindere Mittel verloren.

Dabei ist nach außen hin alles unscheinbar und perfekt. „Ringsum war alles still und öde, nur der Zeppelin-Hanger lag grau in der Ebene.“ (95) Darin freilich haben sich die Anarchisten eingenistet.

Nach fünfhundert Seiten und zwei Jahre später hat sich am Ende des Romans nichts entwickelt, es gibt verlässliche Attentatsversuche auf die Herrschenden, es kommt zu einer Schießerei in der Stadt, während man in der Volkshochschule einen Dichter präsentiert und Bildung as usual versucht.

Christo Karastojanow erzählt üppig, flirrend und atemlos von einer Zeit, in der kein Protagonist zum Luftholen kommt. Der große Brei des Chaos wird mit kleinen handfesten Partikeln durchsetzt, an die man sich im Luftwirbel klammern kann, wenn man durch die Geschichte geblasen wird. Anarchie in einer großen Stadt ist bereits ein Desaster, Anarchie in der entlegenen Provinz jedoch ist der Wahnsinn. - Großer politischer Roman mit kaltschnäuziger Vorgangsweise beim Erzählen.

Christo Karastojanow, Teufelszwirn. Roman. A. d. Bulgar. von Andreas Tretner. [Orig.  Sofia 2001]
Berlin: Dittrich 2012, ( = edition Balkan), 560 Seiten, 20,40 €, ISBN 978-3-937717-59-3


Weiterführender Link:
Dittrich-Verlag: Christo Karastojanow, Teufelszwirn

 

Helmuth Schönauer, 01-01-2013

Bibliographie

AutorIn

Christo Karastojanow

Buchtitel

Teufelszwirn

Originaltitel

Sofia 2001

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Dittrich-Verlag / Edition Balkan

Übersetzung

Andreas Tretner

Seitenzahl

560

Preis in EUR

20,40

ISBN

978-3-937717-59-3

Kurzbiographie AutorIn

Christo Karastojanow, geb. 1950 in Topolowgrad, lebt in Jambol.