Gabriele Bösch, Schattenfuge

In der Literatur gibt es das pathetische Motto: Wenn du eine Nacht extrem hingekriegt hast, hast du vielleicht das ganze Leben hingekriegt.

An dieses Motto halten sich im Roman Schattenfuge von Gabriele Bösch die beiden Helden, sie, eine kreative Malerin, er ein kaputter Architekt. Für eine Nacht haben die beiden offensichtlich eine Vereinbarung getroffen: Er erzählt sein verpfuschtes Leben, sie malt ihn dabei, was das Zeug hält.

In einem Ambiente voller Kerzenschein und Wein legt der Architekt allmählich los, während die Malerin höchstens aufstachelnde Fragen stellt und geräuschlos bleibt, außer es zerbricht wieder einmal ein Stück Kohle über der Augenbraue auf dem Bild.

Im Erzählen muss eine Lebendigkeit liegen. Vielleicht tun Sie sich leichter, wenn Sie nackt sind. (44)

Allmählich nähert sich der Abend einem erotischen Spektakel, das in voller Nacktheit den Sinn des Lebens präsentiert. Was macht es für einen Sinn, wenn man auspackt? Kann das Ausgesprochene realisiert werden?

„Die Einsamkeit entsteht am Gegenüber“, ist sich die Malerin gewiss. (161)
Die Nacht wird jäh zerrissen, als der Architekt unvermittelt auf eine vage Aufforderung hin das Atelier verlässt und die Szenerie quasi von außen betrachtet. Noch kaum im Mondlicht im Freien stehend beginnen er draußen und sie drinnen unsäglich zu leiden. Nichts ist so schlimm, wie wenn man den Gedanken an Trennung tatsächlich in Realität auflöst.

Als der Held wieder zurückkehrt, sind seine Erzählungen andere geworden. Jetzt sind es nicht mehr seine gescheiterten Versuche, Architektur oder Liebe zu machen, sondern er berichtet von einer Wanderung ans Ende der Welt, bei der er auf einen verunglückten Bergsteiger getroffen ist.

Bei ihr vermischen sich mittlerweile Elemente der Kunst mit jenen der Erfahrung. „Dali hat eine Schublade im Hals vergessen“ (104) denkt sie sich, als sie die surrealen Elemente dieser Nacht Kunst-theoretisch auf die Reihe bringen will.

Nachdem du gegangen bist, waren auch die Wörter weg, sagt sie über das Intermezzo der Trennung mitten in der Nacht.

Am Schluss bleibt das Liebes-, Kunst- und Extrempaar fix zusammen, zumindest bis die Nacht vorbei ist. Wenn es schon nicht die Wörter sagen, sagen es mit Gewissheit die Hände. Die Fugen zwischen den einzelnen Komponenten des Lebens haben sich in Schatten aufgelöst.

Gabriele Bösch erzählt surreal-romantisch vom Zusammenlaufen der Künste und Lebensentwürfe in einer dichten, letztlich fragmentarischen Nacht. Alle Beschwörungen und Beteuerungen sind bis ins Skurrile erhöht, gleichzeitig aber in der Formelhaftigkeit des Unsagbaren wahr. Literatur, Malerei und Architektur kommen für sich genommen nicht ans Ende der Welt, aber für eine Nacht gelingt es zwischendurch ans Ende aller Formulierungen zu gelangen. - Dicht, erotisch, klug.

Gabriele Bösch, Schattenfuge. Roman.
Innsbruck: Limbus 2012. 168 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-902534-61-3.

 

Weiterführender Link:
Limbus-Verlag: Gabriele Bösch, Schattenfuge

 

Helmuth Schönauer, 19-11-2012

Bibliographie

AutorIn

Gabriele Bösch

Buchtitel

Schattenfuge

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Limbus-Verlag

Seitenzahl

168

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-902534-61-3

Kurzbiographie AutorIn

Gabriele Bösch, geb. 1964 in Koblach, lebt in Hohenems.