Goran Vojnovic, Vaters Land

Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens haben die meisten in Europa gestaunt, wie viele Nationalitäten und Staaten in diesem wundersamen Tito-Staat versteckt gewesen sind. Aber auch die ehemaligen Bewohner sind über Nacht in einen anderen Staatszustand versetzt worden, in dem sie sich immer noch mit ihren Geschichten einrichten müssen.

Goran Vojnovic nimmt für seine Heimat- und Identitätssuche eine klassische Zauberformel: Der Vater wird für tot erklärt und alles ist erklärt. In „Vaters Land“ freilich hält dieser Zauberbann nur eine gewisse Zeit, der Ich-Erzähler googelt wie alle Menschen seine Vorfahren aus, und siehe da, der Vater ist bloß untergetaucht, nachdem man ihm ein Massaker in einem Dorf unterstellt hat.

Während der Kindheit ist alles normal, wo man ist, wird man verstanden, der Vater ist ein Offizier und alles ist logisch und real. Als der Ich-Erzähler etwa zehn ist, müssen über Nacht die Koffer gepackt werden, es geht von Pula nach Belgrad, wo die Familie im Hotel Bristol untergebracht wird.

Nach heftigen Turbulenzen ist der Staat aufgelöst, Mutter und Erzähler gehen nach Ljubljana, der Vater wird für verschollen und tot erklärt. Nach Jahren wird dem Erzähler klar, dass Vater noch am Leben ist, und er beginnt mit dem Aufräumen. Dabei entwickelt sich eine Stereo-Erzählung, alles, was in der Gegenwart entdeckt ist, wird mit der Erinnerung plastisch zur Deckung gebracht.

Keine Geschichte wird in diesem Krieg von Anfang an erzählt. (100)

Jeder erzählt jenen Teil, bei dem er ungeschoren davonkommt. Der Rest ist Schicksal.

Inzwischen hat Mutter wieder geheiratet und der Erzähler hat einen Halbbruder bekommen. Mutter redet sich stark auf das Schicksal hinaus, sie hat den ehemaligen Mann tot erzählen müssen, um aus dem alten Leben aussteigen zu können.

Ähnlich Schicksalhaft geht es bei einem Treffen in Wien zu, als der Held dann tatsächlich noch einmal den verschollenen Vater zu Gesicht bekommt. Man muss sich eine erträgliche Geschichte ausdenken, wenn die Vergangenheit zu unerträglich an die Gegenwart klopft. Die Kriegsgeneration vermag sich nicht zu versöhnen, sie kann bloß mit einem Seufzer sterben und hoffen, dass sie namenlos begraben wird. Der Vater stirbt, und der Erzähler besucht sein namenloses Grab in Pula, während er die Wohnung übernimmt, worin der Vater unter fremdem Namen gelebt hat.

Was bleibt, ist ein Massaker-Foto aus jenem Dorf, in dem der Vater gewütet haben soll. Jetzt kommt es auf die Nachfahren an, welche Geschichten sie sich zu dieser Vergangenheit erzählen. - Eine aufwühlende, unlösbare Konstellation, die sich nur in einem Roman aushalten lässt.

Goran Vojnovic, Vaters Land. Roman, a.d. Slowen. von Klaus Detlef Olof. [Orig.: Jugoslavija, moja dezela. Ljubljana 2012]
Wien, Bozen: folio Verlag 2016, 255 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-85256-686-3

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Goran Vojnovic, Vaters Land
Wikipedia: Goran Vojnovic (engl.)

 

Helmuth Schönauer, 31-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Goran Vojnovic

Buchtitel

Vaters Land

Originaltitel

Jugoslavija, moja dezela

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Klaus Detlef Olof

Seitenzahl

255

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-85256-686-3

Kurzbiographie AutorIn

Goran Vojnovic, geb. 1980 in Ljubljana, lebt in Ljubljana.