Heinz Helle, Eigentlich müssten wir tanzen

In der Konsumgesellschaft gibt es ein großes Tabu, nämlich das Ende der Dinge und Dienstleistungen zu denken.

In Heinz Helles Roman machen sich fünf junge Männer auf, um in Tirol auf Abenteuer zu gehen, wie es sich für einen Kurzurlaub geziemt. Wie Tausende an jedem Wochenende rollen sie gut gelaunt und wohl auch mit diversen Hilfsmittel stimuliert den berüchtigten Irschenberg hinunter in jene Senke, von wo aus man ins verheißene Land Tirol abbiegt. Aber kaum sind sie durch die Gebirgsarschbacken des Landes eingedrungen, zeigt sich alles ausgebrannt, vernichtet und zerstört.

Was vielleicht ein sportlicher Abenteuerurlaub hätte sein können, erweist sich als totale Entgleisung. Das beginnt schon mit jener brutalen Eingangsszene, wo der Trupp auf eine noch lebende Frau stößt und sich kollektiv und wortlos als Gangbang über sie hermacht. In der Folge werden immer wieder ausgebrannte Supermärkte geplündert, um sich mit dem nötigsten Essen und passenden harten Getränken einzudecken. Wo immer man hinblickt, gleicht alles einer apokalyptischen Landschaft.

Ein brennendes Dorf ist eigentlich keine komplizierte Angelegenheit. (98)

Es sind diese gewöhnlichen Dinge, die im Tourismus als Glück verkauft worden sind, und die jetzt als ausgebrannte Requisiten eines Tiroler Disney-Landes vor den Fünfen ausgebreitet sind.

In den verkohlten Gerippen von Häusern, Fahrzeugen und Gärten ist noch die Verlogenheit zu erkennen, mit der bis vor kurzem heile Welt gespielt worden ist. Auch die Helden werden zwischendurch in einen Arbeitsflash geworfen und fühlen sich zurückgebeamt in ihre Arbeitswelt, wo sie normalerweise in Lagerhallen, Drogerien oder Gaststätten werkelnd auftreten.

Die Sätze werden immer kürzer. „Das Auto: Asche und Blech:“ (101) Die Vermutungen immer skurriler, vielleicht ist ein US-Bomber aus Rammstein in eine falsche Gegend geflogen, um seine Brandsätze abzuwerfen. Es könnten auch zwei verfeindete Pyromanen-Gruppen aus dem Gebirge aneinandergeraten sein, oder es ist eine marodierende Pfadfindergruppe gegen lästige Touristen losgegangen. (101)

Eine kaputte Gegend schlägt nicht nur aufs Gemüt, sie lässt auch die rohe Gewalt ausbrechen und die Männer zu Schlägern werden. Als sie einen Einheimischen zusammentreten, sind sie erstaunt darüber, wie ein Hirn von innen aussieht, wenn es austritt. (158)

Heinz Helle wählt für seinen touristischen Anti-Prospekt eine Sprache, wie wir sie aus Kriegsgebieten gewohnt sind. Vielleicht ist nur das GPS verrutscht, und was wir aus dem Kaukasus erwartet haben, ist jetzt in Tirol eingetreten. Das Absurde dieses lapidaren, beinahe schon Ernst Jünger‘schen Erzählfatalismus ist, dass man sich Seite für Seite vorstellen kann, dass es hier um pure Realität geht, dystopisch verstellt, aber Satz für Satz als Tabu erzählt. - Grausam logisch!

Heinz Helle, Eigentlich müssten wir tanzen. Roman
Berlin: Suhrkamp Verlag 2015, 172 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-518-42493-3

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Eigentlich müssten wir tanzen
Wikipedia: Heinz Helle

 

Helmuth Schönauer, 25-06-2016

Bibliographie

AutorIn

Heinz Helle

Buchtitel

Eigentlich müssten wir tanzen

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Suhrkamp Verlag

Seitenzahl

172

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-42493-3

Kurzbiographie AutorIn

Heinz Helle, geb. 1978 in München, lebt in Zürich.