Helmut Rizy: Exil | Front | Widerstand

Ein aufregender Essay fragt nicht lange und reißt den Leser mit kurzen Denkbewegungen Oktopus-mäßig in den Schlund des Nachdenkens.

Helmut Rizy kümmert sich um diese Haltungsfronten, die schon immer quer durch den österreichischen Charakter gegangen sind. Wer ist literarisch gesehen im Exil, wer an der Front und wer denkt gar an Widerstand?

Schon der erste Gedankengang zeigt diese österreichische Verfilzung, Ingeborg Bachmann schreibt zu Kriegsende ins Tagebuch, dass dies der schönste Tag ist, auch wenn sie hundert wird, und eine Seite Später taucht Nazi-afin die Dichterin Fussenegger als Jurorin beim Ingeborg-Bachmann-Preis auf. Österreichischer gehts nimmer!

Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine historisch neutrale Formulierung für einen Zustand, in dem alles schon wieder da ist oder noch immer da ist. In drei Schritten wird ein Zeitpunkt beschreiben, der sich zu einer Epoche ausgedehnt hat, worin eben Exil, Front und Widerstand scharf getrennt aufeinanderstoßen.

Im ersten Abschnitt geht es um das Kriegsende per se, die Anschlussdichter versuchen sich selbst zu entnazifizieren, Weinheber begeht Suizid, Ilse Aichinger arbeitet an der größeren Hoffnung. Die Autorinnen sind noch in alle Gegenden verstreut und erleben das Kriegsende in Prag, London oder in einem brachen Zwischenraum.

Im zweiten Abschnitt kommt eine erste Struktur in das literarische Geschehen, in den diversen Militärzonen sprießen die ersten Bücher hervor, im Sinne des Widerstandes erweist sich dabei der kommunistische Globus-Verlag als verlässliche Einrichtung. Mittlerweile längst wieder verdrängte und vergessene Schriftsteller zeigen, was rund um die Stunde null auch geschrieben worden ist. Zulässig geblieben ist ja später wohl nur die offizielle Darstellung des Hugo Portisch.

Margarete Petrides, Doris Brehm oder Hermynia zur Mühlen verknüpfen die Elemente Widerstand und Emanzipation. Zur gleichen Zeit arbeiten Kriegsversehrte und anderswie Geschädigte ihre Traumata auf, Hermann Zand etwa ist schon während des Schreibens an der letzten Ausfahrt fertig und dem Tode nahe.

Im dritten Teil werden verschiedene Sichtweisen wie durch Sehschlitze auf ein wallendes Textmeer gezeigt. Allein die Schlagzeilen, mit denen Helmut Rizy die entsprechende Literatur versieht, zeigen die Mannigfaltigkeit, mit der die Autoren dem eigenen Erlebnis und dem eigenen Handeln gegenüberstehen. Von Schuld verfolgt versucht sich Alexander Lernet-Holenia irgendwie herauszuschreiben.

Gnadenlos grotesk tauft Albert Drach für seinen Helden die tödliche Abkürzung IKG (israelische Kultusgemeinde) um in „im katholischen Glauben“. Artur West versucht sich an einer Art Begeisterung für den Frieden. Für alle aber gilt schon in Echtzeit die gängige Formel, mit der die Literatur am Ende des Zweiten Weltkrieges überschrieben ist: Verdrängt, Vergriffen, Vergessen.

Für aktuelle Generation der digitalisierten Nuller-Jahre ist der Zweite Weltkrieg etwa so weit entfernt wie der Dreißigjährige Krieg, dementsprechend groß ist auch die Entfremdung, mit der die Bachelors der Gegenwart jene Zeit durchkämmen. Helmut Rizys schlichtes Lesebuch ist der Versuch, jener Zeit den Hauch eines Wertes im Ausmaße eines Reclam-Heftchens zu verpassen. Ein tapferes und aufwühlendes Unterfangen!

Helmut Rizy, Exil | Front | Widerstand. Das Ende des Zweiten Weltkriegs in der österreichischen Literatur
St. Wolfgang: Edition Art & Science 2016, 114 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-902864-57-4

 

Weiterführende Links:
Edition Art & Science: Helmut Rizy: Exil | Front | Widerstand
Wikipedia: Helmuth Rizy

 

Helmuth Schönauer, 08-06-2016

Bibliographie

AutorIn

Helmut Rizy

Buchtitel

Exil | Front | Widerstand. Das Ende des Zweiten Weltkriegs in der österreichischen Literatur

Erscheinungsort

St. Wolfgang

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Edition Art & Science

Seitenzahl

114

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-902864-57-4

Kurzbiographie AutorIn

Helmut Rizy, geb. 1943 in Linz, lebt in Wien.