Herbert J. Wimmer, Tote im Text

Wenn jedes zweite Buch, das erscheint, ein Thriller ist, dann muss zwischendurch die Thriller-Paste auf Laborproben gedrückt und analysiert werden.

Herbert J. Wimmer, der Meister der fiktionalen Untersuchungen mit fiktionalen Mitteln, tut sich in der Irritation „Tote im Text“ die Mühe an, aus Hunderten von Mustern einen Ur-Thriller herauszudestillieren und diesen gleich zu einem Giga-Knüller aufzublasen. Denn je größer der Fall, umso größer die Spannung, oder doch nicht.

Im forensischen Erzählprojekt sticht vor allem das Element der Versalien-Schrift sofort ins Auge. Dabei wird der Kriminalfall quasi schon als fortlaufend knallige Überschrift erzählt.

Die Novizin wird bis an ihre Lebensende immer wieder von den schrecklichen Ereignissen in der Mordnacht träumen. […] Das Ortsgespräch als heftiges Gemurmel. Metaphern treten aus wie das Blut. Das Blut des Vergleichens. […] Die Kriminaler finden nirgendwo Spuren. Die Kriminaler finden nicht einmal im Nirgendwo Spuren. […] Bald werden die beschädigten Körper der ermordeten Geschwister notdürftig zusammengefügt in passenden Särgen verstaut sein.

In einem in Kleinbuchstaben gesetzten Meta-Text werden innere Monologe, Gedanken etwaiger Leser von Thrillern, Volksweisheiten, Zitate aus forensischen Aufzeichnungen oder einfach psychische Entgleisungen dargeboten. Dabei treten leicht verschwommen ein gewisser Ray Flux und ein Jake Mccoy auf, sie haben die Aufgabe, die Gedankengänge zu fixieren, wie dies etwa Gesichter auf der Leinwand tun.

Meine Heimat ist der Text. (15) Autoren apportieren den Text wie Hunderln. (36) Nur jetzt nicht an Musil denken. (98) Solche Beschreibungen der Versuchsanordnung Thriller zeigen die Zusammenhänge, denen ein scheinbar trivialer Text ständig ausgesetzt ist. Je dümmer der Text, umso heftiger prallt der intellektuelle Beschuss an ihm ab.

Damit alles seine Ordnung hat und auch in wiederholbaren Versuchsanordnungen zitiert und gefunden werden kann, sind diese Protuberanzen an der Außenhaut des Krimis mit Ordnungsbegriffen überschrieben. Leergut, Update oder Erosion lassen die Methode erahnen, nach denen der Text zerlegt oder bereichert wird. Elegant natürlich Neuschöpfungen wie: Furzitat (85) oder Formatsch (108).

Wie in allen Zerlegungs-Protokollen von Herbert J. Wimmer geht es nicht bloß um das Aufarbeiten einer Textsorte nach einem Windwurf, es werden auch ständig gerade die harmlosen Sätze durch geschicktes Stacheln zur politischen Explosion gebracht.

Neokonservative / da sind doch alles ganz hundsgewöhnlich mörderische Faschisten, wie sie da in der selbstentschuldigenden Krokodilstränensuppe ihres retroaktiven Sendungsbewusstseins baden. (75)

Tote im Text ist sicher der intelligenteste Thriller, der je in die Haut dieses Genres gesteckt worden ist.

Herbert J. Wimmer, Tote im Text. Thriller – Eine Irritation.
Wien: Sonderzahl 2015, 141 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-85449-433-1

 

Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Herbert J. Wimmer, Tote im Text
Wikipedia: Herbert J. Wimmer

 

Helmuth Schönauer, 05-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Herbert J. Wimmer

Buchtitel

Tote im Text. Thriller – Eine Irritation

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

141

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85449-433-1

Kurzbiographie AutorIn

Herbert J. Wimmer, geb. 1951 in Melk, lebt in Wien.