Martin Kolozs, Immer November

Ein verstörter Held, der seine Verstörung durch einen wahnwitzigen Amerika-Trip bekämpfen will, wird in den Klassikern Kafkas, Handkes und Gerhard Roths jeweils noch verstörter, um entweder hinter Oklahoma für immer zu verschwinden oder in der eigenen Mythologie zu Grunde zu gehen.

Martin Kolozs schickt seinen kaputten Helden Hans Salten durchaus mit dem Gefühl literarischer November-Figuren nach Amerika. Salten hat zu Hause in der Alpen-Provinz ein ziemlich bodenloses Gefühl mit sich selbst und vertraut sich daher einem literarischen Psycho-Therapeuten an. Dieser entdeckt bald einmal, dass er es mit einer Art Literaturwahn zu tun hat, welcher seinen Patient tagein tagaus, mit und ohne Buch verfolgt.

Nach Therapieversuchen, Selbstgesprächen und Back-Flashs in gelungene Sätze wie etwa, dass jeder Mensch eine persönliche Fluchtdistanz aufweist (54), begibt sich der Held nach New York und hält sich an einen frühen Befehl seiner Großmutter, keine Bücher zu kaufen sondern selbst etwas zu erleben.

Nach obligaten Barbesuchen zur Auffrischung der Hormone und einer Liebesaffäre ohne Liebe mit einer verheirateten Frau wird es für John Salten Zeit, aus New York abzuhauen ins freie Land. Zu diesem Zweck meldet er sich als Trainer für Paddel-Boote, obwohl er keine Ahnung davon hat. Jetzt muss er erst recht ein Buch über das Paddeln lesen, aber er bleibt in der Buchhandlung an einem seltsamen Roman eines gewissen Norman T. hängen.

Statt zu paddeln zieht es ihn zu diesem Dichter, der ihn seinerseits für einen Verlagslektor hält. In vertauschten Rollen soll der Bewunderer eine Autographie schreiben, während sich der Bewunderte seinem Scheitern zuwendet. Am Schluss ist es vielleicht die schlichte Frage, „warum siehst du deinen schrecklichen Film im Kopf an?“ (235), die den Helden ruhig stellt und restlos aus dem Häuschen bringt.

Martin Kolozs zieht in diesem Roman so ziemlich alle Register, mit denen in der Literatur Identitäten geschaffen, gelöscht, dupliziert oder abstrahiert werden. Obwohl der Held mäßig Englisch kann, spricht er es in den Standardsätzen einwandfrei und auch als Leser staunt man, wie stark man sich von diesen Dialogen in den amerikanischen Sound ziehen lassen kann.

Immer wieder tauchen wichtige Figuren aus der Literaturgeschichte auf und nehmen wie selbstverständlich in der Psyche des Helden Platz. Das Kapitel Goljadkin etwa spielt auf den Doppelgänger von Dostojewski an, dann spitzt wiederum ein Satz aus Professor Unrat einen ganzen Abschnitt zu. „Und er stürzte durch die Tür wie in einen Abgrund!“ (96).

Phasenweise werden Lieblingsbücher plastisch, um dann doch wiederum uns Leser samt dem Helden im Stich zu lassen. Der Titel des Romans entwickelt sich verschmitzt aus der Notlage des Helden. Als er für sein Gedicht, das er dem Dichter zeigt, keinen Titel hat, nennt er alles spontan „Immer November“. - Witzig, klug, voller Erzählkraft, eine Hommage an die Kunst des Lesens und die Sehnsucht nach uns selbst.

Martin Kolozs, Immer November. Roman.
Wels: Mitterverlag 2012. 247 Seiten. EUR 19,80. ISBN 978-3-9503157-2-1.

Weiterführende Links:
Mitter-Verlag: Martin Kolozs, Immer November
Wikipedia: Martin Kolozs

 

Helmuth Schönauer, 24-05-2012

Bibliographie

AutorIn

Martin Kolozs

Buchtitel

Immer November

Erscheinungsort

Wels

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Mitter-Verlag

Seitenzahl

247

Preis in EUR

19,80

ISBN

978-3-9503157-2-1

Kurzbiographie AutorIn

Martin Kolozs, geb. 1978 in Graz, lebt in Innsbruck und Wien.