Michael Gehler (Hg.) Akten zur Südtirol-Politik 1945-1947

„Am Nachmittag dieses Tages rief mich der Pressereferent Würthle an und teilte mir mit, daß laut Radio London die Südtiroler Frage von den 4 Außenministern in Paris abgelehnt worden sei.“ (230)

Anhand von ca. 320 Quellen dokumentiert Band 1 – Akten zur Südtirol-Politik die politische Entwicklung der Südtirolfrage vom Ende des 2. Weltkrieges in Europa bis zum Pariser Abkommen im September 1946 und der Aufnahmen des Abkommens in den Friedensvertrag mit Italien.

Gleich nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Gründung der Südtiroler Volkspartei am 8. Mai 1945 kam der Ruf nach Selbstbestimmung in Südtirol auf und wurde die Rückkehr Südtirols zu Österreich gefordert. In zahlreichen Dokumenten aus Bozen und Innsbruck lässt sich noch die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich erkennen, die aber bald einer gewissen Ernüchterung Platz machen muss.

In Süd- und Nordtirol reagiert man mit Großkundgebungen, auf denen die Rückgliederung Südtirols zu Österreich gefordert wird. Aber auch der organisatorische Ausbau des Informationsflusses und der gezielten Propaganda wird gezielt in die Wege geleitet, wie es in einem Bericht des damaligen Botschafters Ludwig Steiner erläutert wird.

Die Aktion ST 45 hat, wie bereits grundsätzlich abgesprochen, folgende Sofortziele:

1. Schaffung einer nicht zu großen, aber über ganz Südtirol verteilten Organisation, aus absolut zuverlässigen und einsatzbereiten Leuten zusammengesetzt.

2. Ankurbelung einer von einer Stelle geleiteten aktiven pro-österreichischen Propaganda in
Südtirol, insbesondere durch Flugzettel, Schmieraktionen, Höhenfeuer usw. […] (71)

Diesen Forderungen, Hoffnungen und Wünschen von Südtiroler und Nordtiroler Seite steht jedoch die rigide Haltung der italienischen Regierung in Rom gegenüber, die strikt auf der Beibehaltung der Brennergrenze beharrt.

Die österreichischen Forderungen sind zurückzuweisen. Italiens Verdienste seit zwei Jahren und sein Kriegsbeitrag für den Sieg der Alliierten sind so, daß Österreichs Interessen, das bis zum Ende auf seiten der Nazis kämpfte, nicht zu Ungunsten Italiens berücksichtigt werden dürfen. (80)

Für den Verbleib Südtirols in Italien wird von den Südtirolern von italienischer Seite eine weitgehende Autonomie versprochen, ein Versprechen, dem aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Italien in Südtirol aber niemand Glauben zu schenken bereit ist. In zahlreichen Dokumenten weisen die Südtiroler die Alliierten auf ihre Ängste, Bedenken und Sorgen hin sowie auf den Umstand, dass immer mehr Italiener in Südtirol, entgegen anders lautender Vereinbarungen, angesiedelt werden.

Mit dem Pariser Abkommen tritt in Nordtirol und Südtirol eine gewisse Ernüchterung ein, wie sich anhand zahlreicher Zeitungsquellen nachlesen lässt, wobei auf Seiten Südtirols eine gewisse Enttäuschung über die schwache Haltung Österreichs beim Abkommen nicht verhehlt wird. Trotzdem tritt eine neue Phase in der Südtirol-Politik ein, in der die Umsetzung des Pariser Abkommens im Mittelpunkt steht.

Die Stimmung unter den führenden Südtiroler Parteifunktionären ist momentan gedrückt. Es gibt bis jetzt keine Anzeichen dafür, daß das Pariser Abkommen vom 5. September durchgeführt wird. (577)

Aufgrund der spannungsgeladenen Verhältnisse dieser Zeit kommt es auch innerhalb der Südtiroler Volkspartei zu einer großen Krise innerhalb der Parteispitze, zwischen stärker nationalistisch orientierten Gruppierungen und den Vertretern von liberalen Gruppen, die eine gemäßigte Haltung gegenüber Italien bevorzugten.

Selten gelingt es Politik und Geschichte so hautnah erlebbar zu machen, wie anhand der historischen Dokumente zur Südtirol-Politik im behandelten 1. Band: 1945-1947, Gescheiterte Selbstbestimmung. Die Ängste und Hoffnungen, aber auch die zunehmende Spannung und ein beginnende Zorn über eine verzweifelnde Lage und das ausgeliefert sein in den Fängen der Weltpolitik und des beginnenden Kalten Krieges spiegeln sich in den Briefen, Protokollen, Zeitungsausschnitten u.a. Dokumenten wieder.

„Akten zur Südtirol-Politik. Bd. 1, 1945-1947 Gescheiterte Selbstbestimmung“ besticht nicht allein durch seine wissenschaftliche Bedeutung für die Geschichte der Südtirol-Politik nach 1945, sondern auch durch seine exzellente Aufbereitung des Materials. Die zahlreichen Dokumente eignen sich nicht nur für Historiker sondern auch für interessierte Leserinnen und Leser an der jüngeren Geschichte Süd- und Nordtirols, um sich einen Einblick in die Stimmung und die Verhältnisse aber auch Hintergründe der Politik dieser Zeit zu verschaffen.

Michael Gehler (Hg.) Akten zur Südtirol-Politik 1945-1947. Bd. 1 Gescheiterte Selbstbestimmung
Innsbruck: Studien-Verlag 2011, 656 Seiten, 79,00 €, ISBN: 978-3-7065-4367-5

 

Weiterführende Links:

 

Andreas Markt-Huter, 26-03-2012

Bibliographie

Buchtitel

Akten zur Südtirol-Politik 1945-1947. Bd. 1 Gescheiterte Selbstbestimmung

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Studienverlag

Herausgeber

Michael Gehler

Reihe

Akten zur Südtirol-Politik

Seitenzahl

656

Preis in EUR

79,00

ISBN

978-3-7065-4367-5

Kurzbiographie AutorIn

Univ. Prof. Dr. Michael Gehler wurde 1962 geboren und studierte Geschichte und Germanistik und war von 1992-1996, außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Heute ist er Professor am Institut für Geschichte an der Universität in Hildesheim.