Norbert Gerhold, Kosmische Alltagsmystik

Das gibt es in der Literatur auch: Man liest und versteht nichts, weiß aber, dass es einen Sinn hat, was man liest.

Norbert Gerhold befasst sich mit dem größten Stoff, den sich ein Hirn ausmalen kann, nämlich dem Kosmos und seiner Komplementärmenge. In einer sympathischen Einführung entschuldigt er sich beinahe wegen des gigantischen Themas, denn eigentlich wollte er ursprünglich nur einen Brückenschlag zwischen Theologie und Naturwissenschaft leisten.

In einem zurückgenommenen Lebenslauf erklärt der Autor, was ihn ermuntert und befähigt, so eine Denkarbeit zu leisten. Als Glaziologe, Mykologe und Geograph haben ihn eine Knieoperation und eine Hüftgelenksentzündung von der „ausreichenden Geländearbeit“ (15) abgehalten und zum Denken gezwungen. Selten ist ein Lebensprogramm so fein erklärt worden.

Und dann liest man über Gedankenschleifen und bleibt immer wieder an grandiosen Sätzen hängen, die sich wohl nie dechiffrieren lassen.

So gehört ‚die Zeit‘ vor dem Urknall genauso zum Kosmos, auch wenn es vor dem Urknall wahrscheinlich ‚zeitweise‘ keine Zeit gab oder überhaupt keine. (21)

Das Schlüsselwort der Gedankengänge ist schließlich das Wort Potenz, das gerade deshalb so witzig passend für alles ist, weil es mit der Potenz alter Herren nichts zu tun hat, wie der Autor verschmitzt schreibt. Die Potenz ist offensichtlich die Möglichkeit, dass etwas existiert oder nicht, dass eine Entwicklung eintritt oder nicht, dass man sich über etwas ein Bild zurechtlegt oder nicht.

Als man als Leser schon ziemlich in die eigene Denkpotenz verstrickt ist, kommen noch zehn kurze Thesen daher, der sogenannte Hauptteil der Kosmischen Alltagsmystik.

Fast im Sinne eines Wittgensteins legt Norbert Gerhold wundersame Gedanken vor:

„Auf die Potenz kann man nur von den Erscheinungsformen aus schließen. Das Wesen der Potenz ist uns unbekannt, niemals ist sie etwas Geistiges.“ (51) – „Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der Kosmos nicht die gesamte Wirklichkeit ist.“ (57) – „Auch wenn höhere Lebensformen im Kosmos nur relativ selten auftreten dürften, so ist der Mensch nicht das Zentrum des Kosmos.“ (65)

Norbert Gerholds Gedankenwelt ist absolut und relativ zugleich, mal gleicht sie einem Geodreieck dann wieder einem dualistischen Lineal. Und selbst hinter den kosmischsten Fragen steckt immer ein Hauch von jenseitigem Humor. Und die Lösung der ganzen Denkerei sitzt unauffällig in der Mitte des Buches:

Letzten Endes können wir alle möglichen Antworten suchen und geben für den Sinn des Lebens – sicher ist nur, dass wir unser Leben meistern müssen. Mehr können wir nicht tun. (43)

So räumt man als Leser die Gedanken wie ein gelungenes Spiel beiseite, aufgeregt und erschöpft.

Norbert Gerhold, Kosmische Alltagsmystik. Kosmisches Bewusstsein und mystische Naturphilosophie. 2. erw. Aufl.
Innsbruck, Wien: Kyrene 2011. 79 Seiten. EUR 12,90. ISBN 978-3-900009-87-8.


Weiterführender Link:
Kyrene-Verlag: Norbert Gerhold, Kosmische Alltagsmystik

 

Helmuth Schönauer 24/01/12

Bibliographie

AutorIn

Norbert Gerhold

Buchtitel

Kosmische Alltagsmystik. Kosmisches Bewusstsein und mystische Naturphilosophie

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Kyrene

Seitenzahl

79

Preis in EUR

12,90

ISBN

978-3-900009-87-8

Kurzbiographie AutorIn

Norbert Gerhold, geb. 1939 in Innsbruck, lebt in Rum.