Toni Kleinlercher, Die Obdachlosen lesen Nietzsche

Wo immer man im öffentlichen Raum mit diesem Buch unterwegs ist, man wird als Leser gnadenlos angestarrt nach dem Motto, was haben die Obdachlosen mit Nietzsche zu tun.

Das Vermischen von scheinbar fixen Kultur-Vorgaben ist das Hauptanliegen von Toni Kleinlerchers „Takes aus japanischen Tagen“, die er als Vermächtnis seiner Japan-Jahre zusammengestellt hat.

In Essay-haften Kleinodien werden im ersten Teil die wichtigsten Elemente vorgestellt, die einem Europäer in den Sinn kommen, wenn er länger mit Japan zu tun hat. Aufgefädelt werden diese Schlüsselwörter wie Fluss, Neujahr, Feuerwerk, Meditation oder erster Schnee an den japanischen Grundwörtern, die jeweils als Kalligraphie dargestellt sind. Allein diese Schriftzeichen wirken wie ein Klein-Essay, der in Worten nur mühsam zu fassen ist.

Dabei streicht der Autor Besonderheiten der Japanischen Kultur heraus, etwa dass die Menschen in der Öffentlichkeit ungeniert ihr Bedürfnis nach Schlaf ausleben. (24)

Auf diese Beobachtung im Öffentlichen Raum geht auch jene Sequenz zurück, dass die Obdachlosen Nietzsche lesen. „Haben Stil die Menschen in diesem Land“. (26)

Einen eigenen Zustand stellt auch in Japan das Fremdsein dar, weshalb der passende Ausweis dafür „Aliencard“ heißt.

Im mittleren Teil dichtet Toni Kleinlercher Original-Japanische Gedichte in Tiroler Mundart nach. Diese auch im Tirolerisch japanisch klingenden Texte werden erst durch die Übersetzung ins Gebrauchs-Deutsche halbwegs verständlich.

Wenn i do hischaug / Do enten aufn feldroa, / De rot stoarosn / Schu halbats beim awifalln: / Tatas do net so giassn!“ - „Wenn ich hinblicke / Dort drüben auf den Feldrain, / Die wilden Nelken / schon widerstrebend fallen: / Ach, Regen, ström doch nicht so! (59)

Im letzten Teil kommen 55 Gedichte zum Vorschein, seltsam lyrisch überschrieben mit „Uguisu in den Büschen“. Dabei verwendet der Autor japanische Gedichtformen für Erlebnisse eines lyrischen Ichs, das in Umwegen, Verkürzungen und fallweise auch im Überschlag sich selbst durch die Zeit bringen muss. Das Erotische flüchtet durchaus in einen falschen Fortschritt,Geheimnisse werden in den Hosenraum verstaut.

aufgeraeumt das traumgelaende / schicht fuer schicht / den schutt dem uebermut / den mut gekappt dem / fortschritt seinen schritt (74)

die stundeninspektion vertagt / gesungen sind die / kalten lieder / unmut in den schrank / heroisches im hosenraum / verstaut (108)

Toni Kleinlerchers lyrischer Zugang zu Japan lässt uns Europäern den Mund offen stehen, und sei es nur vor jener Würde, mit der seine Obdachlosen Nietzsche lesen. - Takes des Schalkes und des Glücks!

Toni Kleinlercher, Die Obdachlosen lesen Nietzsche. Takes aus japanischen Tagen. Mit Kalligraphien von Murota Kosai.
Wien: Klever 2012. 118 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-3-902665-50-8.

 

Weiterführender Link:
Klever-Verlag: Toni Kleinlercher, Die Obdachlosen lesen Nietzsche

 

Helmuth Schönauer, 21-11-2012

Bibliographie

AutorIn

Toni Kleinlercher

Buchtitel

Die Obdachlosen lesen Nietzsche. Takes aus japanischen Tagen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Klever-Verlag

Illustration

Murota Kosa

Seitenzahl

118

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-902665-50-

Kurzbiographie AutorIn

Toni Kleinlercher, geb. 1958 in Schwaz, lebt in Wien.