Ulrich Ladurner, Solferino

Manche Orte können es sich nicht aussuchen, ob sie von der Geschichte beglückt oder heimgesucht werden.

Der kleine Ort Solferino im Süden des Gardasees mit aktuell gerade mal 2.500 Einwohnern ist so ein geschichtlicher Ort, worin sich 1859 drei Weltereignisse verdichtet haben: in der Schlacht von Solferino verliert Österreich die Lombardei, Solferino wird zu einem Meilenstein in der Einigung Italiens zu einem Nationalstaat, in Solferino gründet ein geschockter Henry Dunant das Rote Kreuz.

Ulrich Ladurner geht diese drei Geschichten als Historiker an, der sich den Luxus einer freien Erzählung gestattet. Von seinem Urgroßvater ist ein Tagebuch erhalten, das dieser bei der Schlacht von Solferino geschrieben hat. Während er Schlacht stellten die Soldaten damals wie in der Schule die Tornister ab, ehe sie ins Schlachtfeld marschierten. Wer überlebte, kehrte wieder zum Tornister zurück und schrieb am Tagebuch weiter, ist man versucht zu sagen.

Diesen Zugang als Zeitzeuge eines Ereignisses und seiner Verschriftlichung greift Ulrich Ladurner auf und erwandert sich quasi als Nachkomme der Schlacht die Geschichte, indem er sie erneut aufschreibt.

Solferino selbst ist ein Mythos geworden, es gibt eher unauffällig angelegt das für den Italienischen Nationalismus so wichtige Ossarium, worin die einzelnen Gefallenen individuell und massig zugleich aufbewahrt sind. Und die Bauern in der Gegend fördern mit ihren Pflügen immer noch Knochen zutage, der Tourismus schleust die Menschen vorbei an der Inschrift, wonach eine Frau von einer zufälligen Kugel während der Schlacht getroffen worden ist.

Der Ich-Erzähler sinniert, während er auf einen Hügel hinauf schwitzt, über die beteiligten Personen. Sein Urgroßvater aus Südtirol hat mit dem Krieg nichts am Hut gehabt und hat als Handwerker spät das Schreiben gelernt, als wäre es sein Beitrag zum Krieg, ein Tagebuch zu führen.

Der Kaiser Franz Josef hat auf österreichischer Seite das Oberkommando, aber er ist noch so jung und weltfremd, dass er vielleicht die Schlacht dort weiterspielt, wo er als Kaiser-Kind mit den Zinnsoldaten aufgehört hat.

Henry Dunant packt angesichts der Opfer das Grauen und er schlägt eine minimale Menschlichkeit vor: Wenigstens wer verwundet ist soll ein Mensch und kein Feind mehr sein.

Solferino hat sich die Schlacht nicht ausgesucht, die Menschen, die heutzutage darin wohnen genießen die Ruhe abseits des großen Wirtschaftsrummels rund um den Gardasee. Freilich wird der Ort die große Schlacht nicht mehr los.

Das Ganze hat nur stattgefunden, weil insbesondere die österreichische Armee wie immer die Orientierung verloren hat, grübelt der Autor. Und diese Orientierungslosigkeit hat Solferino zu einem Schlachtfeld gemacht. - Eine sehr nachdenkliche Erwanderung eines Hotspots der Geschichte.

Ulrich Ladurner, Solferino. Kleine Geschichte eines großen Schauplatzes.
Innsbruck: Haymon 2013. (= Haymon TB 100). 151 Seiten. EUR 9,95. ISBN 978-3-85218-900-0. [Orig.: St. Pölten, Residenz 2009].

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Ulrich Ladurner: Solferino

 

Helmuth Schönauer, 23-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Ladurner

Buchtitel

Solferino. Kleine Geschichte eines großen Schauplatzes

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

151

Preis in EUR

9,95

ISBN

978-3-85218-900-0^

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Ladurner, geb. 1962 in Meran, lebt in Hamburg.