Viv Albertine, A Typical Girl

Die Gitarristin der Kultband „The Slit“ schreibt ihr Leben als Memoir auf und bringt noch einmal eine ganze Generation ins Schwärmen.

Viv Albertine ist Pionierin der englischen Punkbewegung und hat vor allem mit den Sex Pistols und The Clash zu tun, ehe sie die Frauen-Punk-Band The Slits mitbegründet. Die musikalischen Nuancen, Interferenzen und Abstrahlungen werden sicher von Fans und Musikkennern entsprechend gewürdigt werden, für den Punk-Dilettanten ist vor allem das Leben der Viv Albertine aufregend bis hin zur Methode, aus einem wilden Leben ein geordnetes Buch zu schreiben.

Im Original handelt der Titel von Klamotten, Musik und Jungs, in einem Nachspann sind dann auch die jeweiligen Lebensepochen unter diesen drei Wahrnehmungskanälen zusammengefasst. Dabei hat die Heldin nicht einmal mit allen Jungs geschlafen, die angeführt sind. Dennoch aber besteht ein gelungener Punk-Tag aus dem Zusammensuchen von Kleidungsstücken, dem Kampf mit Jungs und der Musik, die aus Instrumenten herausgeprügelt wird.

Im Memoir sind laufend Fotos aus jener Zeit angefügt mit genauen Untertexten. Ein Outfit etwa besteht aus knapp zehn Dingen und muss tagsüber in ganz London zusammengetragen werden, damit für den Abend ein passender Stil von den Gliedmaßen hängt.

Die Musik ergibt sich von selbst, einmal wird für nächste Woche eine Band geründet, da ist es egal, ob bis dahin jemand ein Instrument spielen kann oder nicht, es geht um das Zusammenstehen mit Griffen aus der Musikszene, das ist der Kern von Punk.

Das größte Wunder der Viv Albertine ist, dass sie das alles überlebt hat. Das Leben ist als zwei Vinylrillen angelegt, einmal heißt es A und es führt auf den Zusammenbruch und Höhepunkt, dann heißt es B und es gilt, dies alles wieder herunterzufahren und dabei zu überleben.

Die Schlüsselszenen dieses Memoir-haften Lebens sind gleich zu Beginn angeführt. Im ersten Kapitel heißt es, dass Masturbieren nichts taugt, weil es keinen wahrhaftigen Sex zustande bringt, bald danach wird von der Übersiedlung der Vierjährigen von Sidney nach London berichtet, wo der Vater zu Hause eine Züchtigungslandschaft betreibt. Immer wieder müssen ihre Schwester und Viv den Gürtel holen und werden durchgepeitscht.

Die Bilanz dieses Lebens ist sagenhaft mannigfaltig und bescheiden. Dieses Leben ist nicht gut für das Überleben, weshalb ganze Elegien von Verstorbenen aufgezählt sind. Drogen, Abtreibung, ein infantiler Kinderwunsch prägen die äußeren Abläufe, innen kocht es und ständig bricht Musik aus. Das alles hintennach zusammenzufassen und Zerbrochenes als Lebenslinie zu beschreiben, das ist die einzigartige Kunst dieses Buches. So also kann ein Leben aussehen, das ans Limit geht und wie ein Harvester durch das Gelände pflügt. – Nichts für Seniorenherzen!

Viv Albertine, A Typical Girl. Ein Memoir. A. d. Engl. von Conny Lösch. [Orig.: Clothes, clothes, clothes; London 2014]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016, (=st 4675), 478 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-518-46675-9

 

Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Viv Albertine, A Typical Girl
Wikipedia: Viv Albertine

 

Helmuth Schönauer, 30-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Viv Albertine

Buchtitel

A Typical Girl. Ein Memoir

Originaltitel

Clothes, clothes, clothes

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Suhrkamp Verlag

Reihe

st 4675

Übersetzung

Conny Lösch

Seitenzahl

478

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-518-46675-9

Kurzbiographie AutorIn

Viv Albertine, geb. 1954 in Sydney, lebt in London.