Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte

Wundersame Geschichten, die in ihrem Verlaufe die Konsistenz der Glaubwürdigkeit wechseln, tun gut daran, handfest in den Händen der Leserschaft zu liegen und nicht als Fließtext aus der Cloud zu tröpfeln. Das ist auch der Grund, warum Martin Kolozs als Leiter des Kyrene Verlags dieses romantische Hauptwerk in eine bibliophile Ausstattung gegossen hat, gilt doch der romantische Adelbert von Chamisso als geheimer Heiliger für Phantasie und Standfestigkeit in einer bodenlosen Umgebung.

Adelbert von Chamisso ist mit seiner Schattengeschichte vom Peter Schlemihl zu einer Ikone geworden, geht es doch ähnlich wie beim Faust darum, zu erkennen, wer man ist.

Der Ich-Erzähler Peter Schlemichl verkauft auf einer Party eher aus einer spontanen Laune heraus seinen Schatten an einen Fremden, der seinen offensichtlich verloren hat. Zwar kann er jetzt mit Geld herum werfen, aber mit dem Schatten ist auch seine Identität verloren gegangen.

Bald wird er als schattenloser Außenseiter von der Gesellschaft gemieden und muss zu einem Eigenbrötler werden, der nur in der Nacht halbwegs sicher ist. Als er den Schatten nach Jahresfrist zurückkaufen will, müsste er dafür seine Seele hinlegen. Da flieht er in die Wissenschaft und wird Naturforscher.

Dieser wundersame romantische Plot lässt sich zeitlos auf alle Zeiten und Gesellschaften anwenden. Man muss gar nicht an die Blasen-Kapitalisten denken, die Tag und Nacht ihre Schatten auf der Börse verkaufen. Im Zeitalter von HD-Fernsehen gilt der Schatten als das Böseste, was einem Gesicht am Bildschirm passieren kann, weshalb in der heutigen TV-Welt selbst der kleinste Schatten aus allen Situationen heraus geschminkt wird.

In der Glaubwürdigkeitstheorie von Fiktion ist Peter Schlemihl ein wichtiger Baustein, definiert sich darin doch eine Figur als Komplementär-Menge, die in einem Lichtkegel liegt. Da sich in der Literatur der Leser immer seine eigene gelesene Realität zusammenstellen muss, ist es durchaus hilfreich, mit einem Werk, das zweihundert Jahre alt ist, zwischendurch  seine eigene Welt von Schatten und Identität zusammenzustellen.

Als Romantiker ist Adelbert von Chamisso ein Europäer, der die Nationalstaaten überwindet, er selbst leidet freilich darunter, dass er als Zwischen-Staatsbürger keinem Krieg beiwohnen darf, die Teilnahme am Krieg gilt zur damaligen Zeit als Staatsbürgerschaft.

Peter Schlemihl freilich geht restlos in der Wissenschaft auf.

Ich eilte von dem Äquator nach dem Pole, von der einen Welt nach der andern; Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend. (108)

Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Mit einem Nachwort von Alexandra Hildebrandt. Erstdruck 1814 in Nürnberg.
Innsbruck, Wien: Kyrene 2014. 138 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-902873-53-8.

Weiterführende Links:
Kyrene Verlag
Wikipedia: Adelbert von Chamisso

Helmuth Schönauer, 28-11-2014