Reinhard Kocznar, Vor Tagesanbruch
Am ehesten erfährt der Mensch die Wahrheit über sich selbst, wenn er in eine bodenlose Krise gerät. Reinhard Kocznar testet so einen Krisenfall am Beispiel eines Ich-Erzählers, der jäh in ein Katastrophengebiet geraten ist.
Und was fürs erste einmal herauskommt ist ein Öko-Thriller, der den Leser bis zum Schluss nicht in Ruhe lässt.
Man hört auf den ersten Seiten direkt jene unheimliche Musik, die im Anspann von Katastrophenfilmen immer über die Landschaft gelegt ist. Ein EDV-Mensch fährt in die Schweiz zu einem Kunden, eher zufällig biegt er von der Autobahn ab, ihm fällt noch auf, dass viel Militär in der Gegend übt, und dann reißt der Faden zur Außenwelt ab.
Eine seltsame klebrige Masse bleibt am Körper haften und erzeugt sofort eine Wunde, das Handy ist tot, in der Gegend muss etwas Ungeheures passiert sein, denn es tun sich Hitzelöcher in der Landschaft auf und Flüsse verdampfen. Und auch in der darin eingebetteten Stadt muss etwas Bitteres geschehen sein, denn es herrscht Ausnahmezustand und die Öffentlichkeit zeigt sich paralysiert.
Der Ich-Erzähler nimmt das Gesetz des Handelns in die Hand. Auf keinen Fall will er in diesem Katastrophenareal sterben, denn die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Offensichtlich ist bei einem chemischen Vorgang etwas schief gegangen, die Gegend ist verseucht und die Leute sterben wie die Fliegen. Dennoch aber ergibt sich etwas wie ein geordnetes Leben, zumindest Bürokratie und Militär scheinen zu funktionieren.
Allmählich dämmert dem Protagonisten, dass nichts zufällig abläuft. Eine geheimnisvolle Macht hat ihn als EDV-Experten in die Gegend gelotst, um an der Beseitigung der Katastrophe mitzuwirken. Und das Unglück war vielleicht ebenfalls geplant, denn man hat in dieser pharmazeutischen High-Tec-Gegend recht konzentriert an der Entwicklung von Kampfstoffen und deren Gegenmittel gearbeitet.
Der Erzähler ist in seinem Element, stündlich entdeckt er neue Ungeheuerlichkeiten und reagiert darauf. Je komplizierter die Flucht, umso größer die Freiheit, heißt die Parole. Das größte Unglück könnte die SAU sein (Scheitert am Umsetzen). (215)
Reinhard Kocznar erzählt professionell und Thriller-perfekt. Mit jener Coolness, mit der üblicherweise Gebrauchsanweisungen Schritt für Schritt abgearbeitet werden, arbeitet er seinen spannenden Fall ab. Denn es geht um so wuchtige Themen wie Leben und Tod, Selbstrettung und Untergang, Individuum und Katastrophe.
Für den Leser, der in einer scheinbar geordneten Welt sitzt, schleicht allmählich eine verrückte Frage durch die Zeilen heraus wie Kampfgas. Was ist, wenn unsere scheinbar so logisch wirkende Welt in Wirklichkeit völlig anders ist und wir mitten in einer Katastrophe sitzen? Was ist, wenn wir schon längst erledigt sind, und es bloß noch nicht mitgekriegt haben? - Vor Tagesanbruch ist ein Thriller, der zwischendurch bis an den Rand des Vorstellbaren geht.
Reinhard Kocznar, Vor Tagesanbruch. Roman.
Innsbruck: Edition KoCheck 2008. 474 Seiten. EUR 16,50. ISBN 978-3-9502628-2-7.
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