Wolfgang Hermann, Paris Berlin New York

Buch-CoverAb einer gewissen Größe sind doch alle Orte gleich, möchte man meinen. Nicht ganz, sagt das erzählende Ich. "Der Ort ist es, der spricht." (15)

Eine Verschiebung der inneren Kräfte stellt sich ein, wenn man einen neuen Ort betritt, die Aufmerksamkeit gestaltet sich um, fast in jedem Augenblick verwandelt sich etwas.

Wolfgang Hermann schickt in seiner wunderbaren Erzählung über die Selbsterkenntnis an fremden Orten seinen beobachtenden und reflektierenden Helden zuerst nach Paris, wo die Stadt zu einer einzigen Ansammlung von Musen wird.

Malerei, Tanz und Schauspiel quillt aus den Quartiers, aber allmählich werden auch die Verkehrseinrichtungen, die Wege der Banlieues, die reduzierten Naturflächen in den Gärten zu einer spezifischen Form der Poesie. Und während der Ich-Erzähler beobachtet, verändern sich die beobachteten Dinge, wie sich der Duft eines Parfums verändert, wenn seine Trägerin den Kopf wendet.

Berlin setzt mit schwer philosophischen Schüben ein.

Ein Ort schließt den anderen aus. "Indem ich an diesem Ort bin, bin ich nicht an jenem dort." Was weiß ich, fern von Berlin, über den, der ich in Berlin war und bin? (46)

Natürlich liegen in dieser Stadt die Grenzen brach, der Messerschnitt, der die Stadt einst geteilt hat, zwingt immer noch zu einem milden Blick auf scharf getrennte Teile. Der Erzähler berichtet von seinen Fahrten über die Friedrichstraße, den Unterschied zwischen den Weltteilen des kalten Krieges und über versöhnliche Architekturpartikel, die die Stadt zusammenwachsen lassen, als sei sie nie getrennt gewesen.

Auch der Held selbst verändert sich ständig und kann nicht genau sagen, sind es die Umwelten, die ihn umwälzen, oder bringt er die Umgebung ins Sprudeln, während er diese beobachtet.

Am Bahnhof Friedrichstraße bestieg ich die S-Bahn, in der die Schihüttenwärme meiner Kindheit in den Vorarlberger Bergen eingesperrt war. (52)

Über New York gerät der Erzähler schließlich vollends ins Schwärmen, New York nämlich ist vielleicht der Traum, den Dingen anders ins Angesicht zu sehen. (93)

Letztlich verwandeln wir uns alle unnachgiebig, sobald wir den Ort wechseln. Die Metropolen sprechen uns Mut zu, uns darin zu ergehen. Wolfgang Hermanns Erzählung ist auch knapp zwanzig Jahre nach dem Erstdruck eine poetische Welt voller Zeitlosigkeit. Die Städte verjüngen sich an allen Ecken und Enden, wir aber werden stets älter, während wir in diesen pulsierenden Gebilden herumspazieren.

Wolfgang Hermann, Paris Berlin New York. Verwandlungen. [EA Berlin, 1992].
Hohenems: Limbus 2008. 104 Seiten. EUR 14,70. ISBN 978-3-902534-21-7.

 

Weiterführende Links:
Homepage: Wolfgang Hermann
Limbus-Verlag: Wolfgang Hermann

 

Helmuth Schönauer, 23-01-2009

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Hermann

Buchtitel

Paris Berlin New York. Verwandlungen

Erscheinungsort

Hohenems

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Limbus

Seitenzahl

104

Preis in EUR

14,70

ISBN

978-3-902534-21-7

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Hermanni, geb. 1961 in Bregenz, lebt in Wien.