Josef Feichtinger, Kämpfen für das Heiligste

Oft braucht es hundert Jahre und tausend Romane, bis man einen ausgewachsenen Wahnsinn halbwegs begreifen kann. Der Erste Weltkrieg, von dem Zyniker sagen, er sei Österreichs bislang größter Beitrag zur Weltgeschichte, wenn man von Hitler absieht, wird erst allmählich nach hundert Jahren überschaubar.

Josef Feichtinger widmet dem Thema „Tiroler Stimmen zum ersten Weltkrieg“ ein straff kommentiertes Lesebuch, in dem schwülstige Romane exzerpiert, zum Krieg aufputschende Predigten markiert und groteske Zeitungsmeldungen ungeschmückt dargeboten werden. Der lakonische Kommentator Josef Feichtinger geizt nicht mit klugen Einschätzungen, wenn er etwa Josef Kravogel als konventionellen Freizeitlyriker oder Karl Springenschmid als bis ins hohe Alter rechtslastig produktiv bezeichnet.

Die Textauszüge sprechen durch ihre Anordnung für sich, die jeweiligen Themen wie Militärs, Erbfeind Italien, Front in Fels und Eis, Frauen im Krieg oder Zusammenbruch kriegen am Schluss als Erkenntnis-Draufgabe meist eine Sequenz aus Karl Kraus Mammut-Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ hinzugefügt.

Für die beiden Kriegshetzer und Kuttenträger Reimmichl und Bruder Willram gibt es jeweils ein Spezialkapitel, Reimmichl führt dabei kommentierend durch den Krieg und erklärt im Sinne eines katholischen Imperialismus, warum man als Tiroler in Galizien kämpfen muss, und Bruder Willrams Blutlyrik lässt sich ohnehin nur in großen Tanks transportieren und sie sprengen dennoch jeden Hauch von Humanität.

Interessant ist auch, wer sich aller vor den Karren der Kriegshetze hat spannen lassen, je wichtiger die Position, umso billiger die Sponsion. An mehreren Stellen schüttelt der Herausgeber den Kopf und fragt sich, wo diese sogenannte Elite der Monarchie eigentlich ausgebildet worden ist.

Die Zensur ist natürlich allgegenwärtig, so ein Krieg funktioniert ja nur, wenn alles außer Munition ausgeschaltet wird, was einen Kopf treffen könnte.

Ein tolles Panorama aus dem Innern eines Tiroler Kopfes liefert etwa ein Sarner Soldat, der sich in der Feldpost aufregt, dass er von einem russischen Schwein in Galizien getroffen worden sei, ein anderer hofft, dass er wenigstens gut geschossen hat, auch wenn er seine Treffer nicht sehen kann.

Auch nach dem Krieg geht die Kriegshetze munter weiter, schließlich muss ja noch der nächste Krieg vorbereitet werden. Eine Hörbuch-CD mit Abschnitten über das Durchhalten, den Kriegseintritt Italiens oder Krieg als Seelsorge lässt einem die Gänsehaut kommen, und das liegt nicht nur an der Rhetorik dieser kreischenden Originalstimmen.

Josef Feichtingers Lesebuch fährt einem durch Mark und Bein, oft hat man den Eindruck, es ist alles wie vor hundert Jahren, nur dass es dieses Mal vielleicht der Konsumkrieg ist, der bevorsteht, die Leere der Menschen und die kreischenden Appelle der Konsum-Guides sind wieder voll ausgeprägt. Solange überall noch Conrad-Plätze herumstehen, der Reimmichl-Kalender als etwas Gottgewolltes boomt und die Bachelors eigentlich die Halb-Deppen einer Gesellschaft sind, kann man wirklich nur in den nächsten Sandhaufen hinein beten, dass sich die Geschichte nicht wiederholt und Feichtingers Lesebuch einmalig bleibt.

Josef Feichtinger, Kämpfen für das Heiligste. Tiroler Stimmen zum Ersten Weltkrieg. Mit einem Vorwort von Oswald Überegger und einem Audio-Feature unter der Regie von Luis Benedikter.
Bozen: Edition Raetia 2013. 423 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-88-7283-472-5.

 

Weiterführender Link:
Edition Ratetia: Josef Feichtinger, Kämpfen für das Heiligste

 

Helmuth Schönauer, 23-12-2013

Bibliographie

AutorIn

Josef Feichtinger

Buchtitel

Kämpfen für das Heiligste. Tiroler Stimmen zum Ersten Weltkrieg

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

423

Preis in EUR

29,90

ISBN

978-88-7283-472-5

Kurzbiographie AutorIn

Josef Feichtinger, geb. 1938 in Meran, lebt in Vazzan.