Waltraud Mittich, Abschied von der Serenissima

Straßen werden als Verbindungskanäle zwischen Kulturen literarisch hoch gelobt, die Wirtschaft schätzt sie als Fundamente des Handels und das Kapital als Ort intensiven Investments, wenn man wieder einmal die Maschinen auffahren lässt.

In Waltraud Mittichs Roman „Abschied von der Serenissima“ führen die Straßen die Protagonistinnen zuerst hinaus aus der Kindheit aber dann einem strengen Leben zu. Die Straßen der Verheißung entpuppen sich als pfützige Rollwege, auf denen sich der Karren des Lebens nur mühsam voranschieben lässt.

Für die drei Frauen Zäzilia, Rosina und Ariadne werden die Straßen jeweils zu entscheidenden Ereignissen, wenn sie sie sich für einen neuen Lebensabschnitt aufmachen müssen.

Anhand von Fotos versucht eine Erzählerin der Figur ihrer Mutter Zäzilia näher zu kommen, diese wird aus der Gegend um Goisern ins Pustertal verschlagen, wo sie sich im Tourismus bewähren muss und nur allmählich irgendwie die Füße auf den Boden kriegt.

Schon wieder hat sich die Weltgeschichte an meiner Mutter vergriffen. (26)

Zäzilia wird Spielball der Geschichte, aber sie schlägt sich mit kleinen Parolen durch Option und anderes Ungemach, das Kind wird zur Lebensaufgabe, die kleine Geschichte Südtirols mutiert zu einem kleinen Keks der großen Weltgeschichte.

Nichts von den Versprechungen wurde wahr. Ich nehme es den Verantwortlichen dieses Landes übel, ich kreide es ihm immer noch an, diesem Land. (51)

Im Abschnitt Rosina zeigt die Autobahn rund um Venedig, die auch Serenissima genannt wird, den Girls, die darauf arbeiten, ihre Zähne. Rosina hat sich aus der Kleinhäusler-Familie in Toblach aufgemacht in die große weite Welt und erlebt das Wirtschaftswunder als Prostituierte an den Böschungen der Autobahn. Alle Wege führen aus den Dolomiten hinaus und enden an der großen Autobahn, die letztlich ins Nichts führt. „Abschied von der Serenissima“ ist auch ein Abschied von den Träumen und der Illusion einer Selbstverwirklichung.

Das Kapitel Ariadne wird sinnigerweise mit einem Hegel-Zitat eingeleitet, wo der Sinn des Lebens damit beschrieben wird, dass es Lebensaufgabe ist, sich die Hörner abzustoßen (165). Ariadne verkörpert die selbstbewusste, aufgeklärte Frau, die europäisch denkt und in der Alexander-Langer-Stiftung arbeitet. Für sie ist die A 22, die sich um den Langer-Ort Sterzing herumschlängelt ein Beispiel für Befreiung hinaus ins Europa, wobei auch hier nicht sicher ist, ob es diese Freiheit gibt.

Waltraud Mittichs kluge Erzählvorgabe, die Biographien anhand von Straßen zu erzählen, ermuntert die Leser dazu, den ganzen Kontinent mit einem literarischen Navi auszuloten. Straßen dienen nicht immer der Befreiung, aber ohne sie gäbe es überall nur Talschlüsse.

Waltraud Mittich, Abschied von der Serenissima. Roman.
Innsbruck: Edition Laurin 2014. 223 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-902866-14-1.

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Waltraud Mittich, Abschied von der Serenissima

 

Helmuth Schönauer, 08-03-2014

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Mittich

Buchtitel

Abschied von der Serenissima

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

223

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-902866-14-1

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Mittich, geb. 1946 in Bad Ischl, lebt in Bruneck.