Erwin Uhrmann, Ich bin die Zukunft

Je unübersichtlicher die globale Verknüpfung der Lebensabläufe ausfällt, umso realistischer werden die Robinsonaden, die wir an manchen Tagen wie Überlebensbücher lesen.

Erwin Uhrmann erzählt auf der ersten Ebene von einem Aussteiger, der in die Berge flüchtet. Der Ich-Erzähler Sebastian Leitner hat sein Schicksal zu sehr mit dem Geld verknüpft, nach einer Kreditklemme klemmt es auch in seiner Ehe, seine Kindheit erscheint ihm zerknittert, kurzum, er macht sich auf den Weg ins Gebirge und mietet sich im Berghaus bei einer Frau Dora ein.

Da man beim Aussteigen nie weiß, wie lange es dauert, bis man wieder vom System eingefangen ist, verliert Leitner bald einmal jeglichen Kontakt zur Außenwelt und damit auch das Zeitgefühl. Zusammen mit der Bergfrau kultiviert er die Alm, legt wie einst Robinson Crusoe Vorräte an, die Materialseilbahn bringt nur noch sporadisch wortlos gewissen Nachschub wie etwa einen Hahn, der wie wild auf die Hennen abfliegt. Dann stirbt Dora und der Held begräbt sie und versinkt in Zeitlosigkeit.

Jetzt kommt die zweite Ebene ins Spiel, denn nicht nur der Held ist aus seiner Welt ausgestiegen, die gesamte Welt ist mit sich selbst entgleist. Sagenhafte Klimakatastrophen haben den Kontinent in eine glühend heiße Fläche verwandelt, die Überlebenden nennen es „Systemfall“ (123) und können es nicht genauer beschreiben, was da als Hölle auf sie zu kriecht.

Tatsächlich kommt eines Tages die Enkelin Mali mit ihrem römischen Freund Ludovico auf die Hochebene und sucht ihre Großmutter. Sie sind vom Systemfall geflüchtet und können nur mit Mühe davon überzeugt werden, dass Dora eines natürlichen Todes gestorben ist, zumal auch im Gebirge bereits die Hölle ausgebrochen ist und alles in der Trockenheit verkommt.

In der Erwartung der nächsten Nass-Zeit beginnen alle zu fiebern, die Tiere sind tot, Ludovico ist verschwunden, Mali macht Leitner sexuelle Avancen, aber dieser hat vergessen wie dieses Ding abgewickelt werden muss und träumt stattdessen von seiner Kindheit, die sich immer plastischer vor seinen Augen entwickelt. Schließlich kippt alles in ein großes Loch, die Welt atmet noch ein bisschen und Leitner hat die Vision:

Ich bin die Zukunft.

Erwin Uhrmann entwickelt ein alpin-realistisches Ambiente für Aussteiger und wirft dabei wie bei jeder Robinsonade die Frage auf, wie viel der Mensch letztlich braucht, um in einem Zeitloch physisch über die Runden zu kommen. Vielleicht sind Kindheit, Beruf und Liebesglück nur dazu da um im Falle eines elementaren Ausstieges genügend Erinnerungsmaterial zu haben.

Der Sinn des Lebens ist folglich das Erinnern gelungener Partikel und deren Projektion in die Zukunft. Und schließlich wird dieses Programm geradezu zu einem politischen Manifest. Durchaus denkbar, dass sich jemand mitten im Desaster  hinstellt und dem Volk zuruft : Ich bin die Zukunft.

Erwin Uhrmann, Ich bin die Zukunft. Roman.
Innsbruck: Limbus 2014. 174 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-99039-004-7.

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Erwin Uhrmann, Ich bin die Zukunft

 

Helmuth Schönauer, 18-05-2014

Bibliographie

AutorIn

Erwin Uhrmann

Buchtitel

Ich bin die Zukunft

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

174

Preis in EUR

18,90

ISBN

978-3-99039-004-7

Kurzbiographie AutorIn

Erwin Uhrmann, geb. 1978 in Amstetten, lebt in Wien.