Dieter Wrobel, Individualisiertes Lesen

Seit der PISA-Studie ist das Lesen in der Schule und die Diskussionen um die Lesefähigkeit und die literarischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt und damit das Lesen als interdisziplinären Forschungsgegenstand etabliert.

Lesen im Schulunterricht unterscheidet sich in wesentlichen Punkten vom privaten Lesen zu Hause, was für die Leseerziehung in Schule berücksichtigt werden muss. Der seinem Wesen nach intime Vorgang des Lesens, wird in der Schule von verschiedenen äußeren Faktoren beeinflusst. Hier sehen und erleben sich Schüler nicht nur als Leser sondern auch als Schüler, an die von Seiten der Schule bestimmte Anforderungen, Erwartungen und Rollenvorgaben gestellt werden.

Mit analogen Erwartungen und Anforderungen sehen sie sich aber auch in ihrer Rolle als Mitschüler konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit einem literarischen Text in der Schule hängt damit sowohl von der Textart, der Form der Diskussion in einer Klasse, als auch den persönlichen Voraussetzungen sowie dem institutionellen und sozialen Umfeld der Schüler ab.

Wrobel setzt sich zunächst mit den unterschiedlichen Konzepten der Leseförderung und des Literaturunterrichts auseinander und analysiert der Schwerpunkte, Stärken und Schwächen, wobei sein Blick vor allem auf deren Eignung für die Gruppe der leseschwachen Schülerinnen und Schüler gerichtet ist.

Für den Literaturunterricht, vor allem im nichtgymnasialen Pflichtschulbereich heißt das, dass nicht von Lesekenntnissen, Literaturkenntnissen bzw. der Wertschätzung des Lesens und der Literatur ausgegangen werden kann.

Schule übernimmt daher immer mehr die Aufgabe einer Sozialisationsagentur. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Teilhabe an Literarität ein bildungsgangumfassendes Lernziel ist und nicht als mitgebrachte und vorausgesetzte Lerngrundlage verstanden werden sollte, weil Schüler nicht als homogene Gruppe betrachtet werden können. Ausgangspunkt für den Literaturunterricht sollten daher die individuellen Voraussetzungen der Schüler sein. Dies sollte durch didaktische Arrangements der Individualisierung verwirklicht werden.

Leseförderung wird in der Praxis als punktuelle, zeitlich befristete Aufgabe verstanden, die nicht in die Konzepte des Fachunterrichts oder der Schulkultur bewusst eingebunden ist. Dies hat sich als unproduktiv im Sinne der Leseförderung erwiesen. Die Konzepte der Leseförderung sollen als langer Weg geplant sein, auf dem Schüler in Kontakt mit literarischen Texten kommen und den Umgang mit ihnen erproben können.

Neben der Auseinandersetzung mit individuellen Inszenierungsmustern der Leseförderung, in der die personalen Voraussetzungen für das Lesen und Lesenlernen beleuchtet werden, treten auch die sozialen Inszenierungsmuster in das Blickfeld. Hier werden das Lesen im schulischen Umfeld und der Einfluss der Peer Group auf einen erfolgreichen Lese- und Literaturunterricht näher untersucht.

Der theoretische Teil des individualisierten Lesens wird anhand eines Schulmodells in der Stadt Hattingen im Praxistest überprüft. Dabei wird zunächst das Modell vorgestellt und seine Durchführung und sein Ablauf im Rahmen des Schulversuchs beschrieben. Neben standortabhängigen Variablen wie das schulische und soziale Umfeld in Hattingen werde auch standortunabhängige Variable wie Stundenplan, Lehrer, Anbindung an die Fächer u.a. vorweg analysiert und die am Projekt teilnehmenden Schüler und ihre Lese-Voraussetzungen beschrieben.

Die Untersuchung lässt klar erkennen, dass eine nicht individualisierte didaktische Inszenierung des Leseunterrichts, wie es beim gemeinsamen und für alle verbindliche Lesen eines Textes der Fall ist, Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Voraussetzungen ausgrenzt. Schwache Leseleistungen einzelner Schülerinnen und Schüler lassen sich innerhalb des Regelunterrichtes nicht ausgleichen, was für die Notwendigkeit einer individuellen Lesebegleitung spricht.

Auch die Wechselwirkung zwischen individuellen und sozialen Inszenierungen des Lesens ließ sich im Schulversuch eindeutig belegen. Durch individuelle Inszenierungsmuster gelang es eine entspannte Atmosphäre als Grundlage für das Lesen zu schaffen und eine deutlich höhere Lesetätigkeit aller Schülerinnen und Schüler zu erreichen.

Dieter Wrobels Arbeit zur „Leseförderung in heterogenen Lerngruppen“ richtet sich vor allem an Lehrpersonen und Fachleute, die sich speziell mit schulischer Leseförderung auseinander setzen. Neben einem umfangreichen Überblick über die zahlreichen pädagogischen und didaktischen Ansätze und Theorie ist vor allem die Darstellung des praktischen Schulversuchs von besonderem Interesse. Eine Hürde für ein leichteres Verständnis eines doch recht komplexen Inhaltes stellt die exzessive Verwendung von Fachbegriffen und Ergänzungen in Klammern dar, die das Lesen mitunter recht mühsam erscheinen lassen.

Dieter Wrobel, Individualisiertes Lesen. Leseförderung in heterogenen Lerngruppen. Theorie - Modell - Evaluation
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2008, 2. Aufl., 398 Seiten, 37,00 €, ISBN 978-3-8340-0416-1

 

Weiterführende Links:
Schneider Verlag Hohengehren: Dieter Wrobel, Individualisiertes Lesen

 

Andreas Markt-Huter, 11-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Dieter Wrobel

Buchtitel

Individualisiertes Lesen. Leseförderung in heterogenen Lerngruppen. Theorie - Modell - Evaluation

Erscheinungsort

Baltmannsweiler

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Schneider Verlag Hohengehren

Seitenzahl

398

Preis in EUR

37,00

ISBN

978-3-8340-0416-1

Kurzbiographie AutorIn

Dr. Dieter Wrobel ist Professor für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Würzburg.